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Berlin: Ex-General ohne Armee Staatsanwalt Karge regt Juristen und Polizisten auf

Berlins ehemaliger Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge ist zwar pensioniert, aber immer noch für Aufregung gut: Seine Aussagen zu Vergewaltigungsopfern in der ARD-Talkshow mit Anne Will haben zu kollektivem Kopfschütteln bei Polizisten, Staatsanwälten und Richtern geführt. „Schön war das nicht“ kommentiert Polizeisprecher Thomas Neuendorf: „Es konterkariert die Arbeit vieler Kollegen, die einfühlsam auf Opfer eingehen.

Von Sandra Dassler

Berlins ehemaliger Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge ist zwar pensioniert, aber immer noch für Aufregung gut: Seine Aussagen zu Vergewaltigungsopfern in der ARD-Talkshow mit Anne Will haben zu kollektivem Kopfschütteln bei Polizisten, Staatsanwälten und Richtern geführt. „Schön war das nicht“ kommentiert Polizeisprecher Thomas Neuendorf: „Es konterkariert die Arbeit vieler Kollegen, die einfühlsam auf Opfer eingehen.“

In der Talkshow zum Fall Kachelmann hatte der 2006 pensionierte Karge auf die Frage, ob Missbrauchsopfer den Täter anzeigen sollten und danach möglicherweise auch intime Details bei der Polizei erzählen müssten, geantwortet: „Meiner Tochter würde ich im Zweifel raten, nicht zur Polizei zu gehen.“

Bei der Polizei stößt die Position des ehemaligen Chef-Anklägers auf Ratlosigkeit. „Das kann weder für die Gesellschaft noch für die Opfer gut sein“, sagt Sprecher Neuendorf. Dies würde bedeuten, „dass Täter ungestraft davonkommen, ja, sogar weitermachen könnten“. Niemand bestreite, dass es für gequälte Frauen nicht leicht sei, den Hergang einer Tat und intime Details zu schildern, um den Täter zu überführen, sagt Neuendorf. Aber heutzutage müsse niemand mehr wie früher zum Polizeiabschnitt gehen. „Heute vernehmen in unserem Kommissariat für Straftaten im Sexualbereich erfahrene und geschulte Mitarbeiter – auf Wunsch auch ausschließlich Frauen – die Opfer.“

Kritik kommt auch von Karges ehemaligen Kollegen. „Seine Äußerung macht unsere Arbeit nicht gerade leichter“, sagt Vera Junker. Die Vorsitzende der Vereinigung Berliner Staatsanwälte weist auf die zahlreichen Möglichkeiten zur Betreuung der Opfer hin, die es inzwischen gibt: „Unsere Anwälte sind auch darin geschult, mit den oft unsachlichen Angriffen der Verteidiger so umzugehen, dass die Frauen nicht zusätzlich belastet werden.“ Der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, nennt weitere Erleichterungen für die Opfer. „Bei der Erörterung intimer Details kann Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt werden oder auch der Ausschluss des Angeklagten.“ Die Nutzung der Videovernehmung verhindere, dass Opfer wieder und wieder den Tathergang schildern müssen. „Wir raten daher jedem Vergewaltigungsopfer, sich den Behörden zu offenbaren, die alles tun werden, um den Täter ausfindig zu machen.“

Diese Ansicht teilen offenbar viele Richter und Staatsanwälte. Deshalb empfindet auch der Sprecher des Opferverbandes Weißer Ring, Helmut K. Rüster, die Äußerungen Karges als „vollkommen falsches Signal, weil sie so platt und undifferenziert daherkommen“. Überall gebe es Opferschutzbeauftragte und inzwischen die Möglichkeit, sich auf Staatskosten von einem Opferanwalt vertreten zu lassen. „Der passt schon auf, dass die Frau nicht im Zeugenstand auseinandergenommen wird“, sagt Rüster. Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) habe zwar die Talkshow nicht gesehen, sagt ihr Sprecher Bernhard Schodrowski, sei aber der Ansicht, dass die Empfehlung Karges, nicht zur Polizei zu gehen, die Arbeit der Ermittlungsbehörden ad absurdum führe. Sandra Dassler

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