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Ex-Professor spottete über Beitrag der „taz“: Hausdurchsuchung bei „Welt“-Kolumnist wegen vermeintlicher SA-Parole
Autor Norbert Bolz reagiert auf einen Online-Beitrag der „taz“. Er selbst spricht von einem „Witz“. Die Behörden ermitteln jedoch wegen der möglichen Verwendung eines Nazi-Slogans. Mehrere Politiker reagieren.
Stand:
Wegen einer vermeintlichen Nazi-Parole haben mehrere Einsatzkräfte der Berliner Polizei das Haus des „Welt“-Kolumnisten Norbert Bolz durchsucht. Hintergrund war dessen Reaktion auf einen Online-Beitrag der „Taz“.
Wie ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft auf Anfrage sagte, hatte Bolz im Januar 2024 einen „Taz“-Beitrag auf der Plattform X mit dem Titel „AfD-Verbot und Höcke-Petition: Deutschland erwacht“ mit den Worten kommentiert: „Gute Übersetzung von ‚woke‘: Deutschland erwache!“. Zuerst hatte die „Welt“ über die Durchsuchung am Donnerstagmorgen berichtet.
Von der Staatsanwaltschaft hieß es, „Deutschland erwache!“ werde der NSDAP zugeordnet und gelte als Parole der Sturmabteilung (SA). Somit sei der Durchsuchungsbeschluss wegen „des Verdachts auf Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ erlassen worden. Bei dem Einsatz ging es allerdings darum zu überprüfen, ob der Beitrag von Bolz verfasst wurde, wie der Sprecher erklärte.
Bolz, emeritierter Professor für Medienwissenschaften, verwies in der „Welt“ hingegen auf den Kontext seines Beitrags: „Ich hielt das für einen guten Witz. Die ‚Taz‘ hatte etwas über Höcke geschrieben mit dem Fazit ‚Deutschland erwacht‘. Ich dachte: Das ist eigentlich eine gute Definition von ‚woke‘. Denn ‚woke‘ heißt ja auch ‚erwacht‘.“ Er habe ausdrücken wollen, dass „die Verrücktheit die Seiten gewechselt hat“. Er habe sich nicht vorstellen können, dass man das missverstehen könne, sagte Bolz zur „Welt“.
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Auch auf der Plattform X äußerte sich Bolz zu der Durchsuchung an seinem Wohnsitz: „Ich bin neugierig, ob eine derart wahnsinnige Anschuldigung durchgehen kann“, schrieb er dort. Außerdem schrieb er: „Hausdurchsuchung wegen eines Posts. Junge, nette Polizisten, die mir abschließend den guten Rat gegeben haben, in Zukunft vorsichtiger zu sein. Das werde ich tun und nur noch über Bäume sprechen.“
Die Hausdurchsuchung hatte allerdings ein schnelles Ende. Laut Staatsanwaltschaft zeigte sich Bolz kooperativ und wies seine Urheberschaft des Posts auf seinem Handy nach. Das Ergebnis des Verfahrens sei weiter offen, sagte der Sprecher. Der Verdacht werde verfolgt und die Polizei werte nun die Ergebnisse der Durchsuchung aus.
Staatliche Meldestelle meldet Habecks „Schwachkopf“-Meme und Bolz X-Post
Laut dem „Welt“-Bericht war das Bundeskriminalamt (BKA) in die Ermittlungen involviert. Das bestätigte die Staatsanwaltschaft auf Nachfrage. Wie der Sprecher sagte, sei eine Meldung an der Zentralen Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI) eingegangen, die ausschließlich beim BKA existiert. Von wem die Meldung einging, beantwortete er nicht.
Wie der Anwalt des ehemaligen Wissenschaftlers auf der Plattform X mitteilt, erfolgte die Meldung durch die staatliche Meldestelle „Hessen Gegen Hetze“. Sie ist eine Einrichtung des hessischen Innenministeriums. Einem Bericht der „Welt“ zufolge hat die Stelle auch das „Schwachkopf“-Meme eines bayerischen Rentners über den früheren Bundeswirtschaftsminister und Grünen-Politiker Robert Habeck beim Bundeskriminalamt gemeldet, was im vergangenen November zu einer Durchsuchung geführt hatte.
Außerdem soll die Einrichtung allein im vergangenen Jahr 15.162 Meldungen an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben haben. . Von Januar bis Mai diesen Jahres waren es bereits 7862 Fälle. Dabei müsste sie das gar nicht. „Nach Bewertung, ob die jeweilige Meldung eine Relevanz für Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden aufweise, erfolgt die Weiterleitung an zuständige Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden“, teilt eine Sprecherin des hessischen Innenministeriums der „Welt“ mit.
Rechtsexperte: Durchsuchung möglicherweise unverhältnismäßig
Nach Angaben seines Anwalts, Joachim Steinhöfel, nahm Bolz in dem Tweet im Januar 2024 Bezug auf den Beitrag der „taz“. „Die Ironie in Bolz’ Tweet ist so offensichtlich, dass man schon vorsätzlich missverstehen muss, um hier eine Straftat zu konstruieren“, sagte Steinhöfel auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur.
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Rechtsexperte Chan-jo Jun stuft die Hausdurchsuchung beim Kolumnisten außerdem als möglicherweise unverhältnismäßig ein. In einem Beitrag auf der Plattform X verweist der Jurist auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Rostock. Dort heißt es dem Experten zufolge, dass „die Annahme des Tatbestandsausschlusses durch eine Ablehnung so deutlich sichtbar sein, dass man sie nicht übersehen kann“.
Eine Strafbarkeit sei in dem Kontext des Posts also im entferntesten Sinne denkbar. Es sei unklar, wie hoch der humoristische Anteil am Post wiegt. Dennoch sei eine Hausdurchsuchung in diesem Kontext unter Umständen unverhältnismäßig.
Wolfgang Kubicki und Ricarda Lang einig: Durchsuchung ist absurd
Auf das Vorgehen gegen den Kolumnisten reagierten auch mehrere Politikerinnen und Politiker und sind sich einig: Die Durchsuchung war ein zu hartes Vorgehen. Unter anderem schrieb Wolfgang Kubicki (FDP), dass der Tatbestand erkennbar nicht erfüllt sei und ihn die Aktion dementsprechend nur noch sprachlos mache. Das Vorgehen sei nur durch „komplette Inkompetenz oder Böswilligkeit erklärbar“, heißt es abschließend in seinem Post auf der Plattform X.
Auch die Grünen-Politikerin Ricarda Lang teilt die Meinung Kubickis. Sie bezeichnet die Razzia als absurd. „Und die so weitgehende Interpretation des Strafrechts bei Meinungsdelikten untergräbt das Vertrauen in den Rechtsstaat“, postet sie auf der Social-Media-Plattform X.
Bolz war bis 2018 am Institut für Sprache und Kommunikation der TU Berlin Professor für Medienwissenschaften. Seine Spezialgebiete umfassen Netzwerklogik, Mediengeschichte, Medienphilosophie und Kommunikationstheorie. Die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) schrieb über ihn, Bolz sehe sich selbst bis heute als Anhänger „des rechten SPD-Flügels, der immer noch gleich denkt wie vor 20 Jahren“. Auf X hat er mehr als 90.000 Follower. (mit dpa)
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