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Berlin: Familiengericht: Für Familien werden Rechtswege immer länger

Im Familiengericht am Halleschen Ufer, dem größten Familiengericht Deutschlands, türmen sich die Akten, streitende Parteien müssen monatelang, oft noch länger auf Termine warten. "Wir sind mit unseren Möglichkeiten am Ende", heißt es.

Im Familiengericht am Halleschen Ufer, dem größten Familiengericht Deutschlands, türmen sich die Akten, streitende Parteien müssen monatelang, oft noch länger auf Termine warten. "Wir sind mit unseren Möglichkeiten am Ende", heißt es. Überlastet sind nicht nur die Richter, auch bei den Rechtspflegern, Schreibkräften oder in der Registratur wird längst über Engpässe geklagt. Unlängst waren die Zustände aus Sicht eines Richters derart hoffnungslos, dass er einem Anwalt in einem Sorgerechtsstreit mitteilte, dass "derzeit leider eine ordnungsgemäße Bearbeitung der Sache nicht möglich" ist.

In seinem Schreiben führt der Richter mehrere Gründe auf: Zum einen nennt er die Verhinderung der zuständigen Abteilungsrichterin. Außerdem stehe ein Vertretungsrichter offenbar nicht mehr zur Verfügung. Bei ihm, der quasi als Vertreter des Vertreters eingesetzt wurde, sei es zweifelhaft, ob dies gesetzlich zulässig ist. Der Richter gibt zu, er sei seit "Oktober 1990 andauernd überlastet" - unter anderem wegen verschiedener Vertretungen. "Die Verhältnisse sind der Gerichts- und Justizverwaltung seit langem bekannt", heißt es in dem Brief. Dennoch wolle man "um eine rasche Bearbeitung der Sache bemüht bleiben".

Seit mehr als zwei Jahren zieht sich dieser Sorgerechtsfall schon hin, für Rechtsanwalt Gerhard Wilms eine unmögliche Situation: "Das ist eigentlich keine Rechtspflege, sondern Rechtsverweigerung." Sorgerechtsentscheidungen müssten sich am Kindeswohl orientieren. Wenn es wegen der Überlastung des Gerichts aber erst gar nicht zu einer Entscheidung komme, dann widerspreche das diesem Grundsatz. "Der Leidtragende in so einem Fall ist natürlich das Kind", sagt Wilms.

Dennoch müsse man es dem Richter fast anrechnen, dass er die Probleme so klar beim Namen nennt. "Das mag zwar ein außergewöhnlicher Fall sein, aber die Zustände sind vielfach unhaltbar", sagt Wilms. Manche Abteilungen seien einfach handlungsunfähig. Der Anwalt erhob jetzt als Konsequenz eine Untätigkeitsbeschwerde beim Amtsgericht Tempelhof/Kreuzberg, dem das Familiengericht zugeordnet ist. Zudem wandte er sich an die Justizverwaltung. Inzwischen wurde in der Sache ein Termin für Oktober angesetzt.

Weder in der Senatsverwaltung noch an der Spitze des Amtsgerichts wollte sich jemand zu dem speziellen Fall äußern. "Das ist auch eine Personalsache, zu der wir nicht Stellung nehmen können", sagte Justizsprecher Sascha Daue. Überlastungen gebe es am Familiengericht wie auch in der gesamten Berliner Justiz. Die Situation auf Grund der Haushaltslage sei bekannt.

Die Zustände hätten sich verschärft, seit zum Juli 1998 weitere Aufgaben beispielsweise im Unterhaltsrecht auf die Familiengerichte übertragen wurden, heißt es im Gericht. Allerdings sei das Personal nicht entsprechend aufgestockt worden. Die Zahl der in Berlin zu bearbeitenden Fälle hat sich beispielsweise von 1997 bis 1999 um mehr als zehn Prozent auf rund 27 200 erhöht. Insgesamt arbeiten im Familiengericht Tempelhof/Kreuzberg 49 Richter. Und die Wartezeit für einen Termin hat sich gewaltig verlängert. "Mit einigen Monaten muss man schon rechnen", heißt es. Und weitere Aufgaben, beispielsweise durch das neue Partnerschaftsrecht, sind schon in Sicht. "Die Rechtssuchenden beklagen sich zum Teil zu Recht", sagt ein Richter.

Im Familiengericht Tempelhof/Kreuzberg werden die meisten der Berliner Familiensachen behandelt, es ist zuständig für die zehn Bezirke Charlottenburg-Wilmersdorf, Lichtenberg-Hohenschönhausen, Köpenick-Treptow, Neukölln, Schöneberg-Tempelhof, Spandau, Kreuzberg-Friedrichshain und Steglitz-Zehlendorf. Das zweite weitaus kleinere Familiengericht ist im Amtsgericht Pankow/Weißensee angesiedelt. Ursprünglich sollten beide Einrichtungen zusammengeführt werden. Der Neubau am Halleschen Ufer, der 1995 in Betrieb genommen wurde, erwies sich aber auf Grund der noch zu Mauerzeiten entstandenen Planungen als zu klein, so dass die beiden Gerichte weiterhin getrennt blieben.

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