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„Friedenspianist“ wollte Schöffen festnehmen: Querdenken-Aktivist in Berliner Gerichtssaal verhaftet
Weil Verschwörungsideologe Arne Schmitt einen Schöffen verfolgte, wird er im Prozess verhaftet. Im Saal bricht ein Tumult aus. Der Staatsanwalt spricht von einer „neuen Qualität“.
Stand:
Das Kriminalgericht Berlin-Moabit, Europas größtes Strafgericht, hat schon viel erlebt. Doch das, was sich am Mittwochnachmittag in Saal B129 abspielte, fällt dann doch etwas aus der Reihe. Während eines laufenden Prozesses gegen den selbsternannten „Friedenspianisten“ Arne Schmitt wird der Angeklagte verhaftet. Hintergrund ist der gescheiterte Versuch des Verschwörungsideologen, eigenhändig einen Schöffen festzunehmen.
Schon der Gegenstand des eigentlichen Prozesses mutet absurd an: Landfriedensbruch mithilfe eines Pianos. Zu Zeiten der Corona-Pandemie gehörte Schmitt zu einem der bekanntesten Gesichter der Szene der Maßnahmengegner. Er nahm an zahlreichen Demonstrationen der „Querdenken“-Bewegung teil, Markenzeichen: sein rollendes Piano. Auf dem Flügel spielte Schmitt inmitten der Menschenmengen und wollte damit nach eigenen Angaben ein „Zeichen Friedens“ setzen.
Tatsächlich war Schmitt zunächst niemand, der so radikale Parolen anstimmt wie andere in der Szene. Am 21. April 2021 fand im Berliner Regierungsviertel eine „Querdenken“-Demonstration statt. Vor Ort war auch Schmitt mit seinem Musikinstrument. Mehrere AfD-Politiker stiegen auf das Piano und hielten von dort aus Reden.

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Irgendwann eskaliert die Situation, es gibt Auseinandersetzungen mit der Polizei. Der Vorwurf: Schmitt steuert seinen Flügel, dessen elektrischer Motor durch einen Joystick gelenkt werden kann, auf Einsatzkräfte zu und durchbricht eine Polizeikette. Im Anschluss konfiszierten die Beamten das Piano und verladen es als Beweisstück in einen Lkw. Schmitt wird wegen schweren Landfriedensbruchs angeklagt.
Mehr als vier Jahre später findet vor dem Landgericht Berlin die Berufungsverhandlung statt. Mit einer schier unglaublichen Anzahl an Prozesstagen für eine Gegebenheit wie diese. Denn Schmitt verzichtet auf einen Anwalt und verteidigt sich selbst. Der Pianist hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter radikalisiert. Das zeigt sich sowohl in seiner Rechtsauffassung als auch darin, dass er auf seinem Telegram-Kanal mittlerweile Reichsbürger-Propaganda teilt.
Staatsanwalt wegen Schreierei anzeigen
Am Mittwoch, Prozesstag Nummer zwölf, liest er dem Richter längere Passagen aus Büchern hervor, stellt immer wieder juristisch zweifelhafte Anträge und will irgendwann den Staatsanwalt Tim Kaufmann rechtlich belangen, weil dieser ihm zu laut geschrien hätte.
Kurzum: Schmitt zeigt im Gerichtssaal deutlich, warum juristische Laien bei einer Anklage nicht ohne professionelle Hilfe einen Gerichtssaal betreten sollten. Seinen etwa 30 Anhängern im Zuschauerbereich ist das egal, sie feiern den „Friedenspianisten“ für seinen Mut, Richter und Staatsanwalt ständig zu widersprechen.
Schöffe flüchtet auf Motorrad
Wozu Schmitts gefährliches juristisches Halbwissen führen kann, musste währenddessen einer der beiden Schöffen der Verhandlung erfahren. Ende August befand sich der Angeklagte nach dem Ende des elften Prozesstags mit seinen Unterstützern vor den Toren des Moabiter Gerichts, um die Verhandlung zu analysieren. Während Schmitt einem der zahlreichen „Streamer“ der Szene ein Live-Interview gibt, erblickt er plötzlich den Schöffen, der das Gebäude verlässt.
Der „Friedenspianist“ verfolgt den Mann, bedrängt ihn und versucht ihn festzuhalten, bis dieser sich auf sein Motorrad flüchten kann und in Windeseile davonfährt. Arne Schmitt rennt vergeblich hinterher. Schlimmeres verhindern zuvor zwei JVA-Beamte, die den völlig aufgedrehten Schmitt davon abhalten können, sich an dem Schöffen festzukrallen. Gleichzeitig telefoniert Schmitt mit dem Polizei-Notruf und fordert Einsatzkräfte zur Festnahme des Schöffen auf. Die gesamte Szene ist auf einem Video festgehalten.
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Schmitt wirft dem Schöffen, aber auch dem Richter und der Staatsanwaltschaft angebliche Rechtsbeugung vor. Alle Personen seien nach seiner Ansicht befangen. Anzeigen seien geplant. Das „Jedermannsrecht“ würde ihm erlauben, den Schöffen eigenhändig festzunehmen.
Das sieht die Staatsanwaltschaft wenig überraschend etwas anders. Zurück im Gericht, zwölfter Prozesstag, Mittwochnachmittag. Der von Schmitts juristischen Laien-Tiraden sichtlich genervte Richter setzt die Verhandlung bis zum 24. September aus. Dann der Knall: „Sie werden den Saal nicht verlassen, sie sind verhaftet.“ Durch den Zuschauerbereich geht ein Raunen.
Sie werden den Saal nicht verlassen, Sie sind verhaftet.
Der Richter zu Arne Schmitt
Schmitt springt auf, rennt sekundenlang hektisch hinter seinem Tisch hin und her, doch es gibt kein Entkommen. Die JVA-Beamten sind vorbereitet und nehmen ihn fest. Jetzt bricht bei den Zuschauern ein Tumult aus, mehrere Personen versuchen das Handy von Schmitt zu übernehmen. „Das kriegt ihr nicht“, schreit der Pianist zu den Justizvollzugsbeamten. Doch der Übergabe-Versuch des Smartphones an seine Anhänger scheitert.
Noch am Mittwoch wird dem „Friedenspianisten“ der Haftbefehl verkündet: tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte bzw. gleichgestellte Personen (der Schöffe), Falschaussagen zum Nachteil des Schöffen und Notrufmissbrauch. Untersuchungshaft, weil Verdunklungsgefahr besteht und Schmitt in einem Wohnwagen lebt, damit keinen festen Wohnsitz hat.
Staatsanwalt Tim Kaufmann sagte dem Tagesspiegel: „In meiner Wahrnehmung ist das eine neue Qualität, die wir so bisher nicht erlebt haben.“ Wer Schöffen bedrohe oder „gar angreift“, attackiere nicht nur eine Einzelperson, sondern das „Fundament des demokratischen Rechtsstaates“. In der Untersuchungshaft dürfte Schmitt nun erstmal genug Zeit haben, um über eine professionelle Verteidigung nachzudenken.
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