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Berlin: Für Freundschaft, Wohltun, Vaterland

Früher haben die Pankgrafen räuberischen Horden ihre Beute wieder abgejagt, jetzt verbinden sie im Verein heitere Geselligkeit mit guten Taten – und spenden für das Opfer des U-Bahn-Schubsers

So könnte die Inquisition aussehen: drei nicht mehr ganz junge Männer auf kunstvoll geschnitzten Stühlen, einen samtgedeckten Tisch mit Kerzen vor sich, Flaggen und Wappen im Rücken. Aber Hochmeister Joachim Wander und seine beiden Stellvertreter thronen nur zum Spaß hier. Wie jeden Mittwochabend, wenn sich die „Alte Pankgrafen-Vereinigung von 1381 zu Berlin bei Wedding an der Panke“ in einem Lokal an der Mohrenstraße in Mitte trifft. Knapp 50 Männer, die meisten jenseits der Pensionsgrenze, haben sich eingefunden, um ihre Ideale „Freundschaft, Wohltun, Vaterland“ zu pflegen. Das Wohltun wurde zuvor in kleinem Kreise vereinbart: Die Pankgrafen spenden für eine Ausbildungsversicherung für die einjährige Tochter von Thiemo K., der Mitte Dezember vor eine U-Bahn gestoßen wurde und seitdem mit schwersten Verletzungen im Krankenhaus liegt. Am 18. Geburtstag wird das Mädchen also dank der Pankgrafen eine fünfstellige Summe erhalten. Vor Jahren haben sie für die Kinder eines ermordeten Taxifahrers gespendet und nach der Flut kinderreichen Familien in Sachsen unbürokratisch ein paar Geldscheine in die Hand gedrückt.

Nach dem Wohltun wenden sich die Herren der Freundschaft zu. Man trinkt Bier, isst Kohlrouladen, zeigt sich Briefmarken, erzählt Herrenwitze und singt Lieder, die zum Getränk passen. Bis Hochmeister Joachim Wander mit einer Glocke den Programmpunkt „Vaterland“ einläutet. Diesmal ist es ein Vortrag über Frankfurt (Oder) und die Europa-Universität Viadrina, gehalten von einem Jura-Professor. Müdigkeit legt sich auf die Gesichter, während der Professor Perspektiven entfaltet, in Konsolidierung befindliche Entwicklungen umreißt. Als er auf die vielen polnischen Studenten zu sprechen kommt, murmelt ein Pankgraf, „dann klauen sie wieder die Autos“ und verstößt damit gegen die Hausordnung. Politisches – korrekt oder nicht – ist im Remter, wie der Versammlungsraum historisch korrekt heißt, unerwünscht.

Diese Regel galt schon im späten Mittelalter, als die Pankgrafen noch gegen einfallende Horden fochten – oder ihnen wenigstens auf dem Rückzug hinterherritten, um ihnen die zuvor gemachte Beute abzunehmen und den armen Bauern aus Wedding an der Panke zu geben. Das funktionierte lange Zeit, aber über den Dreißigjährigen Krieg müssen sich die Pankgrafen aus den Augen verloren haben. Erst seit 1881 pflegen sie wieder ein geordnetes Vereinsleben. „Aber wir erobern nur noch Herzen“, sagt ein altgedienter Pankgraf. Auf ihren „Ritterfahrten“ marschieren die Pankgrafen zwecks Unterwerfung in eine idyllisch gelegene Stadt ihrer Wahl ein. Die Eroberung endet üblicherweise mit einem Gruppenfoto der im rot-weißen Ordenskleid plus Hut und Schwert gewandeten Pankgrafen im jeweiligen Rathaus. Die rüstigen Ritter bekommen die ohnehin leere Stadtkasse ausgehändigt und revanchieren sich dafür mit einer Spende.

Der Abend ist so gut wie gelaufen. Zum Abschluss wird der Frankfurter Gastprofessor an den Hochmeistertisch gerufen – und willkommen geheißen. Die Begrüßung kommt bei den Pankgrafen immer zum Schluss. Mit Augenzwinkern gewissermaßen. Und sie haben auch alle „Nein!“ gerufen, als der Hochmeister sie fragte, ob sie den Vortrag hören wollen. Ein bisschen Spaß muss sein.

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