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Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) im Gespräch mit Teilnehmern der Berlin Freedom Conference.

© dpa/Britta Pedersen

Gegen die autokratische Welle: Berlin wird zum Treffpunkt der Freiheitskämpfer

Demokratieaktivisten aus aller Welt treffen sich in Berlin, um über die wachsende autokratische Bedrohung zu diskutieren. Garry Kasparow und andere mahnen: Demokratie muss wehrhaft verteidigt werden.

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Die Demokratie ist als Staatsform in der Defensive. 70 Prozent der Weltbevölkerung werden von diktatorischen Regimen in Schach gehalten. Und nur 15 Prozent leben in einem politischen System, das der britische „Economist“ in seinem jährlichen Index als „vollständige Demokratie“ bezeichnet. Tendenz: sinkend.

Es ist also schlechter bestellt um die Freiheit der Menschen weltweit, als vor einem Jahr oder dem Jahr davor oder wie weit auch immer man in der jüngeren Geschichte zurückblicken mag. Während man für die Unterdrückung in früheren Epochen vor allem wirtschaftliche Interessen des Kapitals verantwortlichen machen konnte, sind die Ursachen heute komplexer. Zuweilen so verwirrend, dass selbst jene, die sich für Freiheitsrechte einsetzen, nicht einig über die Gründe sind. „Wir müssen einsehen, dass es bösartige Regierungen gibt“, glaubt der russische Schachweltmeister und Bürgerrechtler Garry Kasparow und macht es sich damit relativ einfach.

Was kann man ausrichten gegen die Selbsterhaltungskräfte totalitärer Apparate? Wie sich wehren gegen die „autokratische Welle“, die derzeit durch die Kontinente rauscht? Und wie schließlich demokratische Werte stärken, deren Bindungskraft schwindet?

Diese Fragen standen im Zentrum der ersten Berlin Freedom Conference, mit der sich die Hauptstadt als Fixpunkt eines internationalen zivilgesellschaftlichen Diskurses etablieren will. Im Schöneberger Gasometer des Euref-Campus kamen am Montag anlässlich des 36. Jahrestags des Mauerfalls zahlreiche prominente Köpfe zusammen. Darunter Leopoldo López aus Venezuela, die iranische Frauenrechtlerin Masi Alinejad, Paul Rusesabagina aus Ruanda, dessen Erfahrungen während des Genozids in dem Film „Hotel Rwanda“ erzählt werden, sowie Vladimir Kara-Murza, russischer Dissident, der vergangenes Jahr bei einem Gefangenenaustausch freikam. Viele von ihnen wurden eingesperrt und gefoltert, um sie zu brechen.

Berlin ist ein lebendiges Symbol

Nach Berlin kamen sie nicht nur, um andere Freiheitskämpfer zu treffen und ein Signal zu senden, sondern weil die Stadt selbst ein lebendiges Symbol ihrer Sache ist. Hier sind die Erfahrungen greifbar, die mit Unterdrückung, Terror und deren Überwindung einhergehen.

Es dürfte kein Zufall sein, dass der World Liberty Congress (WLC), ein Zusammenschluss von Freiheitskämpfern aus der ganzen Welt, ausgerechnet hier ein neues Direktorium wählte. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) versprach in seiner Begrüßungsrede, sich für einen Hauptsitz des WLC in Berlin einzusetzen, damit es „eine Stadt der Freiheit – und der Hoffnung“ sei.

Dekadent oder unterentwickelt?

Als die SED-Opferbeauftragte des Bundestages, Evelyn Zupke, anschließend davon sprach, dass der Mauerfall eigentlich eine historische Ausnahme und keineswegs zu erwarten gewesen sei, machte sie deutlich, wie viel Mut und blindes Gottvertrauen sie und ihre Mitstreiter in der ostdeutschen Friedensinitiative aufbringen mussten. Mehr Gewissheit als das, was aus ihrem Engagement selbst erwuchs, hatten sie damals nicht, und wird es im Kampf mit autoritären Systemen niemals geben. „Man kann die Menschen immer nur ermutigen, aufzustehen“, sagte Zupke, „sich Verbündete zu suchen.“

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) will die Hauptstadt als Sitz für den World Liberty Congress vorschlagen.

© dpa/Britta Pedersen

Um Netzwerke geht es auch auf der Berlin Freedom Conference, die in Zusammenarbeit mit dem World Liberty Congress sowie den zahlreich nach Berlin geflüchteten Regimegegnern vielleicht zu etwas Bedeutsamem heranreifen könnte. Der Anfang ist gemacht mit einem Konferenzformat, das Raum für emotionale Geschichten, aufrüttelnde Appelle (Frauenrechtlerin Masi Alinejad: „We are Freiheit!“) und konzise Analysen bot, aber jenen, die sich in weitschweifigen Erklärungen gefallen, in ein zeitlich enges Korsett zwang.

So fiel nicht allzu sehr auf, dass Worte über die Freiheit zu verlieren, schon an sich ein Luxus ist, den sich immer weniger Menschen leisten können. Die meisten westlichen Demokratien hätten noch immer nicht begriffen, warnte Kasparow, „dass ihre Lebensweise ein Ende haben könnte“. Sein Plädoyer galt der wehrhaften Demokratie.

Wiewohl er nicht allein war mit seiner für einen Schachspieler nicht ungewöhnlichen, kombattanten Auffassung von Freiheit („Im Gegensatz zu Schach kennt der Krieg kein Unentschieden“), führte er die Fraktion der Dekadenz-Kritiker an. Ihr Vorwurf: Eine Generation von Demokraten, die um ihre Freiheitsrechte nicht kämpfen musste, habe schlicht vergessen, was Kämpfen bedeutet.

Man kann die Menschen immer nur ermutigen, aufzustehen.

Evelyn Zupke, SED-Opferbeauftragte des Bundestages

Dem steht die Fraktion derjenigen gegenüber, die Demokratien einer Zangenbewegung aus autokratischen Heilsversprechen und technologischem Fortschritt ausgesetzt sehen. Der frühere litauische Vize-Außenminister Mantas Adomenas sprach davon, dass der technologische Fortschritt asymmetrische Machtverhältnisse etabliere, in denen Demokraten den Kürzeren ziehen.

Es war an Kasparow, die Anwesenden an die Rolle Berlins im Kampf um Freiheit zu erinnern. Viermal habe der jeweils mächtigste Mann der Welt diese Stadt gewählt, um ein Exempel zu statuieren. Reagan tat es mit den Worten: „Tear down this wall.“ John F. Kennedy brauchte ebenfalls nur vier Worte für: „Ich bin ein Berliner.“ US-Präsident Truman erwiderte die Berlin-Blockade mit dem Satz: „We shall stay period.“ Und der britische Premier Chamberlain dachte, man könne Hitler durch Zugeständnisse befriedigen: „Peace for all time.“

Es waren nur Worte. Aber sie hatten Rückhalt und Rückenwind. Vielleicht muss man im Westen wieder lernen, mit Gegenwind umzugehen.

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