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U-Bahnfahren - bald für einen Euro täglich?

© picture alliance/dpa

Gegen eine Daseinsvorsorge zum Billigtarif: Tickets in Berlin müssen mehr als einen Euro pro Tag kosten

Der Regierende Bürgermeister Müller will sich bei den Verkehrstarifen mit dem 365-Euro-Jahresticket Wien zum Vorbild nehmen. Keine gute Idee. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ulrich Zawatka-Gerlach

Es klingt ökologisch und sozial: Man muss nur einen Euro pro Tag zahlen, um mit den öffentlichen Verkehrsmitteln quer durch Berlin zu fahren. Für den Berliner Senat gehört das offenbar zur Verkehrspolitik der Zukunft. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller will den Plan „Schritt für Schritt“ realisieren. Man kann nur hoffen, dass dem keine Taten folgen.

Die österreichische Hauptstadt Wien bietet das 365-Euro-Ticket seit sieben Jahren an. Doch es hat gute Gründe, dass es um das „Wiener Modell“ in Berlin zuletzt still geworden war. Gründe, die nicht nur für den Verkehrsbereich gelten. Denn die Halbierung der Fahrpreise ist in Berlin nicht finanzierbar. Es sei denn, die Regierung nimmt eine dramatische Verschlechterung der Qualität des öffentlichen Nahverkehrs in Kauf.

Preisgünstiger Nahverkehr ist zwar - ebenso wie bezahlbares Wohnen und gebührenfreie Bildung - ein erstrebenswertes Ziel. Aber nur dann, wenn die Qualität der öffentlichen Dienstleistung stimmt. Und wenn die Staatsfinanzen nicht durch dauerhafte, hohe Subventionierungen ruiniert werden.

Im Nahverkehr locken günstige Tarife zusätzliche Kunden an. Verkehrs- und umweltpolitisch ist das gut, stellt aber die kommunalen Verkehrsunternehmen vor gigantische Probleme. Sie müssen mehr Personal rekrutieren, den Wagenpark ergänzen und Strecken ausbauen. Die Berliner Verkehrsbetriebe pfeifen jetzt schon aus dem letzten Loch. Zumal es ab August schon ein kostenloses Schülerticket und im nächsten Jahr für alle Landesbediensteten eine Gehaltszulage geben wird, zu der eine Monatskarte für den Nahverkehr gehört.

Das "Wiener Modell" produziert Kosten in Milliardenhöhe

Die Einführung eines 365-Euro-Tickets würde Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe pro Jahr erzeugen und langfristig Milliarden Euro für den Ausbau der Infrastruktur erzwingen. Oder die U-Bahnwagen verwandeln sich in Sardinenbüchsen und die Fahrgäste verbringen noch mehr Zeit ihres Lebens auf den Bahnhöfen. In Zeiten knapper Kassen, die wieder drohen, wäre dies das Ergebnis einer Daseinsvorsorge zum Billigtarif - und keineswegs sozial gerecht. Denn alle Einkommensschichten zahlen denselben Preis.

Mir als tägliche Nutzerin des öffentlichen Nahverkehrs würde es im Übrigen schon reichen, wenn die laut Fahrplan ausgewiesenen Taktungen eingehalten werden würden.

schreibt NutzerIn kerrin

Ähnlich sieht es im Bildungsbereich aus. So wird es nach den Sommerferien für alle Berliner Grundschüler ein kostenloses Schulessen geben und der Hortbesuch wird für die ersten beiden Klassen gebührenfrei. Bis 2021 soll für alle Schulen die Lernmittelfreiheit eingeführt werden. Gleichzeitig leiden Kitas und Schulen unter fehlendem Personal, schlechter Ausstattung und zu wenig oder maroden Räumen.

Das trifft alle – die Kinder armer und reicher Familien. Wobei gut betuchte Eltern immer noch die Möglichkeit haben, auf private Bildungsangebote auszuweichen. In jedem Fall profitieren auch jene, die es finanziell nicht nötig haben, von den kostenfreien Bildungsangeboten.

Auch der Mietendeckel hat schlechte Nebeneffekte

Ein weiteres Beispiel: der Mietendeckel. Der schützt nämlich alle, die kein Wohneigentum nutzen, auch die Penthouse-Mieter. Andererseits beschneidet das Moratorium nicht nur übermäßige Renditen, sondern auch finanzielle Rücklagen für sinnvolle Instandsetzungen und Modernisierungen. Ein kaum vermeidbarer Nebeneffekt, mit dem auch städtische Wohnungsunternehmen klarkommen müssen. Im schlimmsten Fall brauchen sie wieder staatliche Hilfen. Öffentliches Geld, das für die Förderung bezahlbarer Neubauwohnungen in Berlin künftig fehlen könnte.

Es wäre besser, wenn sich Rot-Rot-Grün auf die punktgenaue Lösung sozialer Probleme konzentrieren würde, die jedem Bürger in seiner Lebenslage hilft. Pauschale Regulierung und eine Verteilung staatlicher Mittel nach dem Gießkannenprinzip schafft mehr Probleme als es löst.

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