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Gerade an Ampeln häufen sich die Unfälle.

© Alexander Heinl/dpa

Unfälle auf Berliner Straßen: Getrennte Ampelphasen sollen Radfahrer und Fußgänger schützen

Berlins SPD will separate Ampelphasen, um die Zahl der Opfer im Straßenverkehr zu verringern. Die Linke ist dafür, die Grünen haben Bedenken.

Der 56-jährige Radfahrer, der am Dienstag an der Müllerstraße von einem rechts abbiegenden Lkw umgefahren wurde, hatte noch Glück: Er stürzte und brach sich das Bein, aber wurde nicht überrollt. Doch allzu oft enden solche Unfälle katastrophal. Von den 37 Menschen, die seit Jahresbeginn auf Berlins Straßen tödlich verunglückten, starben laut Polizei acht bei Abbiegeunfällen: vier Radfahrer und vier Fußgänger.

2017 waren es ebenso viele Radfahrer und zwei Fußgänger. Hinzu kommt eine weit größere Zahl von Schwer- und Schwerstverletzten, deren Leben zerstört ist. Die meisten dieser Unfälle geschehen, wenn Geradeausfahrer und Abbieger gleichzeitig Grün haben.

Die SPD will dieses Problem jetzt konsequent angehen: Die Verkehrspolitiker der Fraktion haben einen Antrag formuliert, der vom Senat die Trennung der Ampelphasen „zum Schutz des Rad- und Fußverkehrs vor abbiegenden Kraftfahrzeugen an allen dafür geeigneten lichtsignalgeregelten Kreuzungen“ fordert. Zur Begründung verweisen sie auf die Polizeistatistik, die Abbiegefehler seit Jahren als häufigste Unfallursache nennt.

Unfallhäufungen an Ampeln

Die meisten der mehr als 1000 bekannten Unfallhäufungsstellen in Berlin seien ampelgeregelte Kreuzungen. „Wir als Politik sind in der Verantwortung, dass sich alle sicher durch die Stadt bewegen können“, sagt der SPD-Verkehrspolitiker Tino Schopf. „Uns ist klar, dass die langwierige Einführung von Abbiegeassistenten für Lkw nicht ausreichen wird, sondern auch auf Landesebene etwas passieren muss.“ Das Gegenargument, separate Ampelphasen für Abbieger führten zu unzumutbar langen Wartezeiten und mehr Staus, lässt Schopf nicht gelten: „Lieber warte ich 15 Sekunden länger an der Ampel, wenn wir dafür zehn Tote pro Jahr weniger haben. Außerdem ist es ja auch eine Erleichterung für Lkw-Fahrer, wenn sie wissen, dass sie bei Grün wirklich fahren können.“

Bundesweit sterben – mit steigender Tendenz – pro Jahr etwa 50 Radfahrer unter den Rädern abbiegender Lastwagen. Die Einführung elektronischer Abbiegeassistenten dürfte noch Jahre dauern. Bisher bietet nur einer von sieben europäischen Lkw-Herstellern ein Assistenzsystem ab Werk an. Ansonsten sind nur teils unzulängliche Nachrüstlösungen zu bekommen – etwa mit Kameras und Monitor, den ein abbiegender Lkw-Fahrer zusätzlich zu seinen sechs Außenspiegeln und dem Geschehen vor der Frontscheibe im Blick behalten müsste.

„Wenn der Geradeausverkehr Grün hat, muss der Abbiegeverkehr stehen“, lautet deshalb auch das Fazit von Siegfried Brockmann, der die Unfallforschung der Versicherer (UdV) leitet. Das gilt nach Untersuchungen der UdV auch für Linksabbieger, die etwa ein Drittel aller Abbiegeunfälle verursachen – in Berlin oft dadurch, dass sie sich ohne eigene Ampelphase erst mit mehrspurigem Gegenverkehr und dann mit dem Vorrang der Fußgängern und Radfahrern arrangieren müssen, was viele überfordert.

Getrennte Abbiegephasen sind bisher Ausnahme

Getrennte Abbiegephasen sind an den rund 2000 Berliner Ampeln bisher die Ausnahme. Üblich sind sie nur an Stellen mit sehr starkem oder mehrspurigem Abbiegeverkehr, etwa an Autobahnzufahrten. Selbst an chronisch konfliktträchtigen Stellen wie der Oberbaumbrücke mit mehr als 10.000 Radfahrern im Tagesmittel haben Abbieger und Geradeausverkehr gleichzeitig Grün. Vor Monaten geriet genau dort eine junge Frau unter einen abbiegenden Lkw.

Laut SPD-Mann Schopf „kommt der Antrag bei uns in der Fraktion positiv an“ und solle möglichst bald beschlossen und mit den Koalitionspartnern beraten werden. Linken-Verkehrspolitiker Harald Wolf findet die SPD-Forderung „absolut richtig, weil die Trennung viel Gefährdungspotenzial wegnehmen würde“. Dagegen meldet Harald Moritz (Grüne) Bedenken an: „Das wird natürlich nicht an jeder Kreuzung möglich sein. Die deutlich längeren Umlaufzeiten könnten vor allem Fußgänger dazu einladen, bei Rot zu gehen“ – zumal es schon jetzt viele Klagen über allzu knapp bemessene Grünphasen für Fußgänger gebe. Eine Alternative könne „Rundum-Grün“ sein wie an der Koch-/Ecke Friedrichstraße. Nur schützt das die Radfahrer nicht.

Bedingungen für „Umweltverbund“ verbessern

Einig sind sich Schopf und Moritz darin, die Bedingungen für den „Umweltverbund“ aus Öffentlichen, Rad- und Fußverkehr zu verbessern, um den Autoverkehr und damit auch die Staus zu verringern. Die grün geführte Verkehrsverwaltung erklärte bereits vor Wochen auf eine Anfrage des Tagesspiegels zu getrennten Ampelphasen: „Dieser Ansatz wäre eine vorstellbare Lösung, die fallweise geprüft und umgesetzt werden könnte. Zu beachten ist dabei, welche ungewollten Folgen für die Verkehrssicherheit und die Umwelt durch sehr lange Umlaufzeiten an den Ampeln entstehen.“

Eine Art Übersetzung dieses Statements lieferte der Treptow-Köpenicker Baustadtrat Rainer Hölmer (SPD) im Oktober bei der Mahnwache für einen 34-Jährigen, der in Adlershof von einem abbiegenden Lkw der BSR getötet worden war: „Es wird allerhöchste Zeit, die Ampelphasen zu trennen.“ Aber das sei mit der Verkehrslenkung Berlin bisher nicht zu machen.

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