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Berlin: Giovanni Camozzi, geb. 1924

Giovanni Camozzi war kaum etwas peinlicher, als gelobt zu werden. Der Seelsorger der Italienischen Katholischen Mission in Berlin war auf eine Weise gut, die sich mit der modernen Welt nicht vertrug.

Giovanni Camozzi war kaum etwas peinlicher, als gelobt zu werden. Der Seelsorger der Italienischen Katholischen Mission in Berlin war auf eine Weise gut, die sich mit der modernen Welt nicht vertrug. Er war ein lebender Anachronismus - und mancher einer hielt ihn für dumm. Doch Giovanni Camozzi war ein gelehrter Mann. In theologischen und philosophischen Dingen machte ihm so leicht keiner was vor.

Giovanni Camozzi hatte eine ganz besondere Haltung zum Leben. "Er verschenkte fast alles", sagt Liliana Hoffmann, die in der italienischen Gemeinde lange Jahre eine seiner Stützen war. Im Winter fror er oft, weil er immer wieder seine warme Jacke oder den einzigen Mantel weggab. Wurde er von seiner Haushaltshilfe nach seinem Mantel gefragt, sagte er nur: "Danach brauchen sie nicht zu suchen, den gibt es nicht mehr."

Giovanni Camozzis Güte wurde manchmal ausgenutzt, doch er war ohne Groll. Es war auch keine Wut in ihm als jemand bei ihm einbrach, um die Stereoanlage und den Fernseher der Mission zu stehlen. Camozzi wurde durch den Krach wach. Er erkannte die Diebe - und legte sich leise wieder ins Bett. Monate später war er zufällig bei den Tätern zu Gast. An einem Transportschaden konnte er erkennen, dass es sein Fernseher war, der da im Zimmer stand. Gesagt hat Don Giovanni nichts. "Sie sollen ihn behalten, ich bin ein Pfarrer, von mir können sie ihn nehmen" erklärte er Liliana Hoffmann gegenüber sein Schweigen.

Giovanni Camozzis Güte und Selbstlosigkeit hat manchen irritiert, einige auch beschämt. Materielles war für ihn einfach nicht von Bedeutung. Mit geradezu kindlicher Naivität nahm er zur Kenntnis, wie wichtig Besitz für andere war. Wenn Giovanni Camozzi lachte, merkte man diese Unbeschwertheit. Das Lachen brach aus dem stillen, etwas schüchternen Mann unvermittelt und gänzlich ungehemmt hervor. Doch dieses Lachen war selten. Meist war der Geistliche ernst, erfüllt von seinen unzähligen Aufgaben und Projekten, gehetzt von der Angst, sie in seiner Lebenszeit nicht meistern zu können.

Als er 1977 die Seelsorge in der italienischen Gemeinde übernahm, konnte er die Kirchgänger an zwei Händen abzählen. Don Giovanni suchte den Kontakt zu jedem einzelnen der 8000 katholischen Italiener in Berlin. Er telefonierte, schrieb Einladungen und machte unzählige Hausbesuche. Nach und nach sammelte der Pfarrer so seine Schafe wieder ein. Heute ist die Kirche der Gemeinde am Sonntag voll.

Schnell erkannte Camozzi, mit welchen Schwierigkeiten seine Landsleute in Berlin kämpften. Analphabetismus und Sprachprobleme standen an oberster Stelle. Dabei ging es nicht nur um die mangelnden Deutschkenntnisse der Italiener, sondern ebenso um das schlechte Italienisch deutscher Ehepartner. Wenn diese Familien in den Ferien nach Italien fuhren, verzweifelten dort oft die Großeltern, die sich mit der Schwiegertochter und den in Deutschland aufgewachsenen Enkelkindern nicht verständigen konnten. Giovanni Camozzi wandelte die Mission teilweise in eine Schule um. Mit viel Energie und Erfolg wurde hier nun Deutsch und Italienisch gepaukt.

Dass in Don Giovannis Gemeinde nicht nur gebetet wurde, sondern dass es hier auch praktische Hilfe gab, sprach sich schnell herum und zwar weit über die Grenzen Berlins hinaus. In der Mission trudelten immer häufiger hilfesuchende Italiener, vor allem aus Süditalien, ein. Zumeist waren es Menschen, die in Berlin auf Heilung für kranke Familienmitglieder hofften. Die Gemeinde organisierte Unterkünfte und bezahlte manchmal die Krankenhausrechnungen. Dafür organisierte man Spendensammlungen und Basare.

Manchmal überforderte Camozzi seine Gemeinde allerdings mit seinen Ideen und Projekten. "Das war vielleicht seine einzige Schwäche", sagt Liliana Hoffmann. "Er wollte immer alles auf einmal. Wenn er eine Idee hatte, musste sie sofort umgesetzt werden."

Anfang der neunziger Jahre erkrankte Giovanni Camozzi an Krebs. Er beschloss, zurück nach Italien zu gehen. In einem kleinen Ort in der Nähe von Bergamo arbeitete er als Seelsorger, so lange es ihm möglich war. Häufig verzichtete der todkranke Mann auf das schmerzlindernde Morphium. "Er wollte leiden", sagt Liliana Hoffmann. "Er wollte ein Opfer bringen, weil er glaubte, Gott damit seine Liebe zu beweisen."

Liliana Hoffmann fuhr zur Beerdigung nach Italien. Dort wurden viele Reden gehalten. Auch Liliana Hoffmann sprach. "Ich war sehr aufgeregt, es waren Hunderte von Menschen gekommen. Bischöfe hatten vor mir gesprochen, viel Offiziöses war gesagt worden. Ich wollte etwas von dem Menschen Giovanni Camozzi erzählen. Er war doch auch ein Mensch. Ein Mensch allerdings, für den das Priestersein viel mehr war als ein Beruf." Liliana Hoffmann begann ihre Rede mit den Worten: Lieber Don Giovanni, entschuldigen Sie, dass ich so viel Gutes über Sie sagen werde. Ich weiß, Sie hätten es nicht gewollt."

Ursula Engel

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