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Die Rider des Lieferdienstes Gorillas fahren Lebensmittel und andere Supermarkt-Produkte aus. In vielen Städten gehören sie inzwischen zum Straßenbild.

© Tobias Schwarz / AFP

Express-Lieferdienst vor dem Arbeitsgericht: Gorillas-Rider klagen gegen befristete Arbeitsverträge

Am ersten Verhandlungstag sprach der Anwalt der Beschäftigten von juristisch nicht haltbaren Vertragsbedingungen.

Der Arbeitskampf beim Express-Lieferdienst Gorillas beschäftigt seit Montag auch das Arbeitsgericht Berlin. Mehrere Rider, also Radkuriere, haben ihren Arbeitgeber verklagt. Damit wollen sie erreichen, dass die Befristungen ihrer Arbeitsverträge aufgehoben werden. Gorillas stellt die Beschäftigten üblicherweise für ein Jahr ein, wovon ein halbes Jahr als Probezeit gilt. Der Rechtsbeistand des Unternehmens zweifelt allerdings an, dass die Klagenden überhaupt rechtmäßige Verträge haben.

In den Gängen des Arbeitsgerichts am Magdeburger Platz in Tiergarten geht es normalerweise eher ruhig zu. Doch am Montag gab es Gedränge und Gemurmel vor dem Saal 513. Etwa 20 Menschen waren gekommen. Neben Aktivist:innen des Gorillas Workers Collective (GWC) interessierten sich vor allem Journalisten und Forschende für die Verhandlung. Sie musste in einen größeren Saal verlegt werden.

Rider-Anwalt: „Es geht uns um mehr“

Martin Bechert, der Anwalt der beiden Gorillas-Rider, die derzeit gegen das Unternehmen klagen, machte gleich zu Beginn klar, dass es sich aus seiner Sicht um eine bedeutsame Verhandlung handelt: „Es geht uns um mehr“, sagte er zum Vorsitzenden Richter Thomas Kühn.

Der Anwalt Martin Bechert ist auf Arbeitsrecht spezialisiert. Er vertritt momentan zwölf Gorillas-Rider, die gegen ihren Arbeitgeber klagen.
Der Anwalt Martin Bechert ist auf Arbeitsrecht spezialisiert. Er vertritt momentan zwölf Gorillas-Rider, die gegen ihren Arbeitgeber klagen.

© Christoph M. Kluge

Er vertrete momentan zwölf Mandant:innen mit sehr ähnlichen Fällen, potenziell könne es mehrere Hundert Klagen geben. Denn die Befristungen in den Arbeitsverträgen von Gorillas seien juristisch nicht haltbar. Seine Mandant:innen seien an einer „prinzipiellen Lösung“ interessiert. Soll heißen: Gorillas soll alle Beschäftigten unbefristet einstellen

Der Vorsitzende Richter dämpfte die Erwartungen: „Es ist nicht Sinn und Zweck eines solchen Verfahrens, Gerechtigkeit für die Allgemeinheit zu schaffen. Dafür gibt es den Gesetzgeber.“ Jede Verhandlung vor dem Arbeitsgericht sei eine individuelle. Es gehe jeweils nur um ein bestimmtes Arbeitsverhältnis. Allerdings gab Kühn zu, es könne von einer Verhandlung durchaus eine „Signalwirkung“ ausgehen, die sich auf weitere Verfahren auswirke.

[Unterwegs mit einem Lieferdienst-„Rider“: „Natürlich verdiene ich zu wenig für das, was ich mache“ (T+)] 

Die Gorillas Technologies GmbH wurde von dem Anwalt Clemens Oldhafer vertreten, der laut seinem Profil beim Karrierenetzwek Linkedin erst seit Anfang September als „Legal Counsel“, also Unternehmensjurist, für das Start-up tätig ist. 

Digitale Unterschrift wird zum Streitpunkt

Für Irritationen sorgten die Arbeitsverträge der beiden klagenden Rider. Die Verträge wurden nicht handschriftlich unterschrieben, sondern kamen über das elektronische Zertifizierungsverfahren DocuSign zustande. Becherts Ansicht nach sind die Befristungen deshalb nicht rechtmäßig. Oldhafer zweifelte hingegen an, dass die beiden Rider überhaupt rechtmäßig beschäftigt waren. Auch er berief sich auf DocuSign.

Das US-amerikanische Unternehmen wirbt auf seiner Website: „Mit DocuSign eSignature können Sie Verträge, Genehmigungen und andere Vereinbarungen in Minuten anstatt in Tagen abschließen.“ Rider-Anwalt Bechert gab sich verwundert: Es sei offensichtlich gängige Praxis bei Gorillas, die Vertragsunterlagen der Beschäftigten auf diese Weise zu bearbeiten. Die Rider hätten sich an die Vorgaben des Arbeitgebers gehalten, der ihnen das nun zum Vorwurf mache.

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Bechert sagte, er habe im Vorfeld des Verfahrens einem anderen Anwalt des Unternehmens ein Angebot zur gütlichen Einigung gemacht, das sei jedoch ausgeschlagen worden. Oldhafer schien davon nichts zu wissen. Er bat um Nachsicht: „Ich habe diese zwölf Verfahren erst letzte Woche auf den Schreibtisch bekommen.“ 

Der Richter ermahnte ihn, dass es notwendig sei, sich vor einer Verhandlung ordentlich vorzubereiten. „Ich hätte erwartet, dass Sie einmal mit ihrem Vorgänger darüber sprechen.“

Der Gorillas-Geschäftsführer Kagan Sümer treibt die Expansion seines Start-ups in Europa und Nordamerika voran.
Der Gorillas-Geschäftsführer Kagan Sümer treibt die Expansion seines Start-ups in Europa und Nordamerika voran.

© Christoph M. Kluge

Da beide Seiten am Montag zu keiner Einigung fanden, wurde ein weiterer Verhandlungstermin im Februar festgesetzt. Allerdings enden die Beschäftigungsverhältnisse der beiden klagenden Rider bereits am 18. Oktober. Nach der Verhandlung sagte Anwalt Bechert dem Tagesspiegel, dass Gorillas seiner Ansicht nach nur verlieren könne. „Das ist eine ganz einfache Rechtsfrage.“ 

Weitere Rider könnten auf Entfristung klagen

Das Unternehmen müsse dann den entgangenen Lohn für die Zeit zwischen Entlassung und Gerichtsentscheidung nachzahlen. Außerdem drohe eine Klagewelle. „Die Verträge sind bei allen Beschäftigten gleich.“ Schon am Donnerstag wird das Arbeitsgericht eine weitere Rider-Klage verhandeln. 

Der Essenslieferdienst Lieferando hat seinen etwa 10.000 Ridern erst im August unbefristete Arbeitsverträge angeboten. Das Unternehmen, dessen Fahrer:innen vorrangig warmes Essen aus Restaurants ausfahren, gehört zum niederländischen Branchenriesen Just Eat Takeaway. 

Vorausgegangen waren gerichtliche Auseinandersetzungen mit Betriebsräten in verschiedenen Städten. Diese Betriebsräte waren noch beim Vorgänger Foodora gegründet worden waren. Als Lieferando den Konkurrenten 2019 aufkaufte, wurden sie übernommen.

Bei Gorillas gibt es bislang noch keinen Betriebsrat. Das Gorillas Workers Collective behauptet, die Geschäftsführung behindere eine Gründung. Das Gorillas-Management bestreitet diesen Vorwurf. 

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