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Berlin: Haben die einen Vogel?

Adler, Gänse und Kraniche fühlen sich hier wohl. Bald sollen in Rangsdorf Flugzeuge kreuzen. Ein Ausflug.

Ein Fischadler dreht über dem Wasser seine Runden, um dann im passenden Moment blitzschnell einen Fisch zu packen. Er dreht das Exemplar mit seinen Klauen vom Kopf zum Schwanz, um mit seiner Beute in den Horst zu entschweben. Zeitgleich ist in noch größerer Höhe sogar ein Seeadlerpaar auszumachen. Daneben zwitschert es wie wild aus dem dichten Schilfgürtel. Der Rangsdorfer See, zehn Kilometer hinter der südlichen Berliner Stadtgrenze gelegen, zieht die Vogelwelt fast magisch an. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass darüber künftig schwere Jumbos vom neuen Großflughafen hinwegdonnern sollen“, sagt Robert Nicolai von der Bürgerinitiative Schallschutz Rangsdorf. „Dann können wir den Naturreichtum vergessen.“

Deshalb hat er schon im September 2011 eine Beschwerde an die EU-Kommission formuliert, die jetzt zur Einleitung eines „Vertragsverletzungsverfahrens“ gegen Deutschland geführt hat. Die Flugrouten müssen wie berichtet auf ihre Umweltverträglichkeit untersucht werden. Neben dem Rangsdorfer See hat auch die Gefährdung des Müggelsees die EU-Experten auf den Plan gerufen.

Robert Nicolai ist optimistisch, dass die Flugrouten verändert werden. „Mindestens die Hälfte des zehn Quadratkilometer großen Sees ist vor Jahren zum europäischen Vogelschutzgebiet erhoben worden. Da darf nicht einmal ein lautloser Ballon tiefer als 600 Meter darüberfahren“, sagt er aufgeregt. „Jedes Düsenflugzeug aber schreckt Vögel auf, die dann für immer das Weite suchen werden.“

40 000 Wildgänse finden sich hier jeweils im Frühjahr und Herbst zur Rast ein für den Weiterflug in ihre Brut- oder Winterquartiere. Auf den umliegenden Wiesen und Weiden finden sie Futter, das Wasser schützt sie vor Feinden wie Fuchs oder Marder. Auch tausende Kraniche veranstalten hier zweimal im Jahr ein Naturspektakel. Sie teilen sich die Plätze am Ufer mit zahlreichen vom Aussterben bedrohten Vögeln. Deshalb dürfen auf dem größten Teil des Sees keine Motorboote fahren.

Dabei sind die Rangsdorfer durchaus Fluglärm gewohnt. Die örtliche Fliegerschule besitzt eine lange Tradition. Hier machte beispielsweise Beate Uhse 1937 ihren Flugschein. Hier traf sie auf viele Prominente der damaligen Zeit. In alten Chroniken ist Rangsdorf sogar als „Lido des Berliner Südens“ verzeichnet. Der feine Sandstrand am Ostufer des Sees und das legendäre Seebad Casino zogen viele Besucher an. Noch heute gilt der See als das Glanzstück des Ortes und als ideales Wassersport- und Erholungsgebiet. Auch ein Stück deutscher Geschichte wurde in Rangsdorf geschrieben. Claus Graf Schenk von Stauffenberg startete von hier aus am 20. Juli 1944 zu seinem Flug in die Wolfsschanze, um das Attentat auf Hitler zu verüben. Er kehrt am Abend nach Rangsdorf zurück, um kurze Zeit später verhaftet und hingerichtet zu werden.

Heute herrscht weitgehend Ruhe im kleinen Vorort. Ausflügler machen es sich auf Terrassen von Restaurants bequem oder genießen die Stille beim Spaziergang rund um den See. In Gesprächen mit Anwohnern taucht nicht nur die Sorge um ein intaktes Naturschutzgebiet durch die Flugzeuge von Schönefeld auf. „Man hört doch immer wieder von Unglücken durch Kollisionen mit Kranichen oder Gänsen“, sagt ein älterer Mann auf der Seebadallee. „Ich glaube nicht, dass die Herren bei der Flugsicherung alle Risiken bedacht haben.“

An Vorschlägen für veränderte Flugrouten herrscht kein Mangel. „Man müsste die Flugzeuge beim Start von der Südbahn einfach nur einige Kilometer weiter geradeaus fliegen lassen“, meint Robert Nicolai. „Ein Abbiegen über den Rangsdorfer See macht aus unserer Sicht keinen Sinn.“ Die Maschinen könnten dann erst beim weiter westlich gelegenen Ludwigsfelde nach Süden abbiegen. Dann hätten sie schon stark an Höhe gewonnen und seien nicht mehr so laut. Genau das stand bis zum Sommer 2011 auch in den Plänen für die Flugrouten, ehe diese sehr zum Leidwesen der Rangsdorfer noch verändert worden waren.

Beilage „Mehr Berlin“

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