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Trotz strenger Milieuschutzgesetze bieten Sonderregeln genügend Raum, um Mietwohnungen in Eigentum umzuwandeln.

© dpa / Wolfgang Kumm

Debatte: Milieuschutz in Friedrichshain: Haltet die Umwandlung auf!

Der Milieuschutz verfehle sein Ziel, hieß es an dieser Stelle vor wenigen Wochen. Seine Regeln seien lebensfern. Nein, sie sind zu durchlässig, lautet nun die Entgegnung. Die Stadt müsste aktiver in den Ausverkauf eingreifen.

Unser Haus wird verkauft. Erfahren haben wir davon durch eine knappe Mitteilung vom Vermieter etwa zwei Wochen, nachdem er den Kaufvertrag mit dem neuen Eigentümer, einem Immobilieninvestor, geschlossen hat. Dabei wohnen wir in einem der derzeit acht sozialen Erhaltungsgebiete von Friedrichshain- Kreuzberg und fallen damit unter den sogenannten Milieuschutz, mit dem eine sozial heterogene Zusammensetzung der Wohnbevölkerung bewahrt werden soll.

Es gibt Stimmen, die das Konzept des Milieuschutzes infrage stellen, weil es, wie an dieser Stelle vor sechs Wochen zu lesen war, gerade verhindere, was es zu erhalten vorgebe: dass die soziale Vielfalt der Bevölkerung unangetastet bleibt. Der Autor argumentierte, dass finanziell gut gestellte Menschen wegziehen müssten, weil sie in Milieuschutzgebieten weder Eigentum erwerben könnten noch ihre Mietwohnungen durch Luxusausstattung upgraden könnten. Dabei ist es sehr wohl ein Unterschied, ob Menschen verdrängt werden, weil sie sich mehr leisten wollen oder weil sie es sich nicht mehr leisten können. Die einen haben eine Wahl, die anderen keine.

Der Milieuschutz ist daher so konzipiert, dass er in erster Linie Letztere schützt. Und zwar mit Maßnahmen, die gegenwärtig vor allem unter dem Stichwort „Verhinderung von Luxussanierungen“ diskutiert werden. So sind unter anderem die Zusammenlegung von Wohnungen oder der Einbau von Gästetoiletten verboten. Der Ausbau von Dachgeschosswohnungen zum Schaffen neuen Wohnraums ist politisch jedoch erwünscht und auch energetische Sanierungen bleiben möglich. Deshalb spielen sie in Milieuschutzgebieten eine besondere Rolle: Mit dem Etikett „energetisch“ können teure Immobilienaufwertungen vorgenommen und nahezu vollständig auf die Mieten umgelegt werden. Kurz: Die Regelungen des Milieuschutzes sind in diesem Punkt letztlich noch zu weich gehalten. Dies zeigen auch die vielen Fälle, bei denen sich die Mieterinnen und Mieter nach energetischen Sanierungen – mit oft nur sehr geringen Energieeinspareffekten – ihre Wohnung nicht mehr leisten konnten.

Die Stadt sollte ihr Vorkaufsrecht nutzen

Ebenso unwirksam ist das Umwandlungsverbot von Mietwohnungen in Eigentum, denn erneut gilt es nicht ohne Ausnahme. Derer gibt es sechs. Von diesen wiederum ist die sechste besonders herauszuheben. Durch sie wird den Mieterinnen und Mietern für sieben Jahre ein Vorkaufsrecht eingeräumt, was auf den ersten Blick wie eine Maßnahme zur Bestandserhaltung aussieht.

Doch steht dem Filetieren von Mietshäusern in Eigentumswohnungen durch diese Regelung nichts mehr entgegen. Das kann natürlich nur diejenigen freuen, die im Kauf einer Immobilie eine gute Altersvorsorge oder den persönlichen Ausweg aus der Spirale fortwährender Mieterhöhungen sehen. Langfristig führen diese Entwicklungen aber zur weiteren „Entmietung“ des Stadtbezirks. Dann werden im Kiez doch nur diejenigen mit dem dicken Geldbeutel bleiben können. Glückwunsch!

Um dieser Dynamik zu entgehen, sieht der Milieuschutz ein weiteres, weniger bekanntes Instrument vor: Der Bezirk hat ein Vorkaufsrecht, das bis zu zwei Monate nach dem Verkauf des Hauses „gezogen“ werden kann. Der Bezirk kann dieses Recht zugunsten eines Dritten ausüben, „wenn der Dritte zu der mit der Ausübung des Vorkaufsrechts bezweckten Verwendung des Grundstücks innerhalb angemessener Frist in der Lage ist und sich hierzu verpflichtet“. Konkret heißt das: Eine Berliner Wohnungsbaugesellschaft könnte ein Haus kaufen, um damit langfristig Mietwohnungen zu erhalten. Diese Maßnahme könnte dazu beitragen, dass nicht voneinander abgeschottete Reichen- und Armenviertel entstehen – egal, ob an den Stadträndern oder im Szenekiez. Doch auch diese Sache hat einen Haken, denn die zweimonatige Frist bei diesem kommunalen Vorkaufsrecht ist zu kurz.

„Den Wandel aufhalten zu wollen ist kindisch“, hieß es an dieser Stelle. Wir halten dagegen: Es geht darum, den Wandel sozial zu gestalten. Man mag es bedauernswert finden, wenn ein netter Nachbar in den Berliner Speckgürtel zieht, um sich dort den Traum vom Eigenheim mit Garten zu erfüllen. Diese Fluktuation aber gleichzusetzen mit der Verdrängung von Menschen, die gern bleiben würden, sich das aber nicht mehr leisten können, ist … ja, was eigentlich – nur kurzsichtig oder doch zynisch?

Die Autoren leben in Friedrichshain.

Silke Pechar, Hans Seidel

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