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Betreuer*innen in Kinderheimen oder Psychiatrien können momentan nicht aus dem Homeoffice arbeiten.

© Peter Kneffel/dpa

Herausforderndes Engagement: So soll Berlin Hürden für Pflegeeltern beseitigen

Sorgen um Bürokratie, Finanzen, Beratung: Rund 1700 Pflegestellen in Berlin erklären, wo Senat und Bezirke nachbessern müssen – zum Wohle tausender Kinder.

In Berlin klafft eine immer größere Lücke zwischen der Zahl der Kinder, die an Pflegefamilien vermittelt werden sollen und Erwachsenen, die Kinder aufnehmen möchten. Auch wegen der wachsenden finanziellen Belastungen im Zuge der Inflation sehen sich vor allem Alleinerziehende immer weniger in der Lage, Kindern ein neues Zuhause zu bieten.

Deswegen fordern Pflegeelternverbände jetzt, dass künftig auch Elterngeld, ein einmaliger Energiezuschuss von mindestens 230 Euro und ein Entlastungsbetrag von 125 Euro im Monat gezahlt werden sollen. Die angekündigte Erhöhung des Senats würde nicht reichen. Es sollte auch Entlastungen durch ein einmal ermöglichtes freies Wochenende oder Ferienbetreuung geben, etwa für Alleinerziehende.

Darüber hinaus wurden rechtzeitige Infos zu Finanzen und Unterstützung, Beratungsgespräche und das verbindliche Einrichten von Pflegeelterngruppen in jedem Bezirk als wichtig benannt. Auch Pflegeeltern bräuchten als Mitarbeitende in der Jugendhilfe – wie Fachleute freier Träger – eine Supervision, forderte etwa Petra Schrödel, Vorsitzende des Arbeitskreises zur Förderung von Pflegekindern. Die Altersgrenzen seien überholt.

Bei Umzügen von Herkunfts- und Pflegefamilien innerhalb Berlins sollte beispielsweise der ehemalige Bezirk – gegen Ausgleichszahlungen – weiter zuständig bleiben, damit nicht die Jugendämter und Ansprechpartner:innen ständig wechseln. So lauteten einige der Forderungen, die bei der Veranstaltung „Pflegefamilien besser unterstützen“ am Dienstagabend von Expert:innen geäußert wurden. Die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus hatte zu der Runde in die Alte Turnhalle Berlin in Prenzlauer Berg geladen.

Für 700 Kinder wird gesucht – nur 100 Eltern bewerben sich

Auch Pflegeeltern müssen vieles sportlich nehmen und mit vielerlei Herausforderungen jonglieren. Für rund 700 Kinder wird jedes Jahr in Berlin eine Pflegefamilie gesucht, aber nur 100 Eltern bewerben sich. Die Schützlinge von Säugling bis Teenager bringen besondere Lebensgeschichten mit, etwa ein Fetales Alkoholsyndrom durch eine süchtige Mutter.

Anna-Maria Pedron von der Stiftung der Deutschen Wirtschaft bedauerte, dass oft eher die Defizite statt der Potenziale gesehen würden. „Ich erhoffe eine andere Haltung gegenüber Pflegefamilien und Pflegekindern.“

Ende 2021 gab es in Berlin, wie berichtet, mehr als 1700 Pflegestellen im Auftrag des bezirklichen Jugendamtes, mit einem Kind oder mehreren Kindern. Rund die Hälfte von ihnen lebt bei Dauerpflegeeltern, die anderen etwa zur Krisen oder Kurzzeitpflege.<TH>Darüberhinaus lebten rund 3700 Babys, Kinder und Jugendliche in betreuten Einrichtungen freier Träger, darunter 402 Kinder im Alter bis zu sechs Jahren und 2264 zwischen zwölf und 18 Jahren.

Weit besser gefördert und betreut wachsen sie bei Pflegeeltern auf, sie seien aber leider immer „schwieriger unterzubekommen“, sagte Katharina Günther-Wünsch (CDU), Mitinitiatorin der Veranstaltung und Mitglied im Jugendausschuss des Abgeordnetenhauses.

Besonders anspruchsvoll ist die Aufgabe für Pflegeeltern mehrere Kinder, sie müssen teils mit unterschiedlichen und personell oft wechselnden Zuständigen bei diversen bezirklichen Jugendämtern, Pflegekinderdiensten und Vormündern umgehen. Pflegeeltern müssen beispielsweise Entwicklungsberichte schreiben, an meist terminlich fest vorgegebenen Jugendhilfekonferenzen teilnehmen.

Viel zu geringe Beratungszeit für Herkunftsfamilien

Silvia Breher, familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag sagte, „jedes Kind hat ein Päckchen zu tragen, und jedes hat eine Chance auf eine Lebensperspektive verdient“. Die Bedingungen müssten verbessert werden – und sich Gemeinde, Kommune, Land und Bund nicht, wie sie das im politischen Leben oft erfahren habe, durch gegenseitiges Zuschieben von Verantwortung aus der Affäre ziehen.

Peter Heinßen, Vorstand des Kompetenzzentrums Pflegekinder e.V., berief sich auf eine von ihm mit initiierte aktuelle Studie zu Pflegefamilien in Berlin und auf Erfahrungen aus der Praxis, nach denen die Beratungszeit pro Herkunftsfamilie von 30 Minuten pro Monat viel zu wenig seien. Pflegeeltern stehen zweieinhalb Stunden zu.

Es sei in Berlin leider vielfach üblich, dass – wegen der dort großen Nachfrage<TH>und langer Wartezeiten – Eltern die 100 Stunden der Landespflegeelternschule erst starten können, wenn das Kind schon Jahre bei ihnen lebt. Hier wünschten sich die anwesenden Pflegemütter und -väter, dass es Module zur Auswahl geben solle; wichtige Themen wie etwa erzieherisch sinnvolle Konsequenzen – nicht Strafen – könnten ausgebaut werden. Normalerweise dauert die Überprüfung von Pflegeeltern davor meist neun Monate. Bei Berliner Pflegeeltern für unbegleitete minderjährige Geflüchtete ab 2015 war sie verkürzt.

Infotag: Geflüchtete suchen Pflegeeltern

Heinßen appellierte an den Senat, hier mehr Öffentlichkeit herzustellen – etwa für die Aufnahme von geflüchteten ukrainischen, arabischen, afghanischen, türkischen oder afrikanischen Kindern und Jugendlichen. Seiner Erfahrung nach brauche es insgesamt fünf Kontakte, bis sich Erwachsene für Pflegeelternschaft entscheiden.

Eine Idee aus der Runde lautete, mehr Veranstaltungen anzubieten, bei denen Pflegeeltern, auch von einst unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, von Problemen, aber auch positiven Erfahrungen berichten (8. November, 18 bis 20.30 Uhr, bei Familien für Kinder, Anmeldung erbeten, siehe Kasten).

Das Pflegegeld reiche nicht

Pflegeeltern zu sein sei kein Beruf, sondern eine Berufung aus Liebe, betonten viele Anwesende. Dennoch kritisierten sie, dass sich die Finanzbeträge an Werten von vor etwa 10 Jahren orientieren würden. Freie Träger würden anders als Pflegeeltern extra Corona-Mittel bekommen. Pflegeeltern beklagen, dass das Pflegegeld nicht reiche, da sie Kosten auch für Klassenfahrten, Bücher und anderes zahlen müssen.

Mehrkosten fallen auch für psychische und physische Versorgung an, teils müssten spezielle Ferienangebote und Nachhilfen besorgt werden, betonte Carmen Thiele, Fachreferentin im Bundesverband der Pflege- und Adoptivfamilien.

Ein Beispiel wurde gegeben: Zuletzt zahlte Berlin den – oft zu Hause bleibenden oder teilzeitarbeitenden Pflegeeltern – eines 13-Jährigen unter anderem 474 Euro Unterhaltspauschale, was 313 Euro pro Monat unter den Empfehlungen des hier maßgeblichen Deutschen Vereins – und dem Betrag in Hamburg – liege.

Höhere Unterstützungen bekommen Pflegeeltern von Kindern mit erweitertem Förderbedarf, das seien etwa 40 Prozent der Eltern. Wer aufs Geld schiele und auf ein quasi leibliches Kind ohne Herkunftselternkontakt hoffe, fällt bei der Bewerbung in Berlin raus. Wer aufnehmen wolle, müsse viel Geld mitbringen, rief jemand in der Runde. Ein Vater tat dies schon für 22 Kinder, als Stütze für deren Start ins Leben.

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