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Nicht immer decken sich die Tätigkeiten der Ukrainer:innen mit ihren Qualifikationen.

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Wie gut fühlen sie sich unterstützt?: So erleben ukrainische Geflüchtete den Einstieg in den Berliner Arbeitsmarkt

Lagerhelferin statt Lehrerin, Reinigungsfrau statt Regisseurin. Trotz Qualifikationen haben es ukrainische Geflüchtete auf dem Arbeitsmarkt schwer. Vier Ukrainerinnen berichten über ihre Erfahrungen in Berlin. 

Stand:

Hochqualifiziert, aber keinen passenden Job? So geht es vielen ukrainischen Geflüchteten mit Hochschulabschluss. Sprachkenntnisse sind dabei ein Hindernis, aber nicht das größte.

Laut einer Befragung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge verfügen 75 Prozent der erwachsenen ukrainischen Geflüchteten in Deutschland über berufliche Abschlüsse oder Hochschulabschlüsse. Doch 57 Prozent der Frauen und 50 Prozent der Männer üben Tätigkeiten aus, die unterhalb ihrer Qualifikation im Heimatland liegen. Das gilt selbst für diejenigen, die Qualifikationen mitbringen, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt besonders gefragt sind.

Viele warten jahrelang auf die Anerkennung ihrer Abschlüsse, ohne zu arbeiten. Nur 20 Prozent der Flüchtlinge haben ihre Zeugnisse in Deutschland schon anerkennen lassen. Und: 54,1 Prozent der befragten Ukrainer gaben bei einer Studie des Bildungsträgers Minor an, keinen Job annehmen zu wollen, der nicht dem eigenen Qualifikationsniveau entspricht.

Wie ist ihr Weg in das Berufsleben in Deutschland gewesen? Welche Probleme gibt es? Und welche Tätigkeiten haben sie angenommen – obwohl sie eigentlich nicht ihrer Ausbildung entspricht? Vier ukrainische Geflüchtete berichten.


Kateryna Parfeniuk, 44, Koordinatorin der Vereinigung HIV-positiver Ukrainer

Kateryna Parfeniuk

© privat

Ich bin ausgebildete Videoregisseurin und war in der Ukraine in meinem Beruf tätig. Aber das Schicksal hat mich dazu gebracht, auch Expertin für den Rechtsschutz von HIV-positiven Menschen zu werden. Ich wollte nicht nur meine eigenen Rechte als HIV-positive Person schützen, sondern auch die Rechte vieler Menschen, die sich in der Ukraine benachteiligt fühlten.

Als ich nach Berlin kam, habe ich diese Arbeit ehrenamtlich fortgesetzt. Es gab enorm viel zu tun, denn Tausende Menschen mit HIV-positivem Status waren nach Deutschland gekommen. Sie fanden sich in einem fremden Land wieder, mit einem völlig anderen System der lebenswichtigen Versorgung.

Unsere Gemeinschaft wurde von der Berliner Aidshilfe unterstützt, und im Herbst 2022 gründeten wir PlusUkrDee.V. – Vereinigung der positiven Ukrainer*innen in Deutschland. Es war die erste von ukrainischen Flüchtlingen registrierte gemeinnützige Organisation. Wir berieten Menschen und organisierten öffentliche Veranstaltungen. Ich dachte, dass ich davon auch finanziell leben könnte.

Aber ich wurde enttäuscht: Es war unmöglich, finanzielle Unterstützung zu finden. Ich wollte aber nicht von Sozialhilfe leben. Deshalb habe ich mich entschlossen, einen einfachen Job zu suchen, der keine Sprachkenntnisse erfordert. Deutsch fällt mir sehr schwer, sodass ich mir kaum vorstellen konnte, hier als Regisseurin Fuß zu fassen.

So wurde ich Vollzeitputzfrau in einer Firma, die in Berlin Wohnungen vermietet. Ich hatte es schwer, mich mit einem solchen „Downshifting“ abzufinden. Aber ich sagte mir, dass dies auch eine interessante Lebens- und kreative Erfahrung sei. Die Arbeit war körperlich sehr anstrengend, ich kam völlig erschöpft nach Hause, legte mich auf die Couch, und wenn mein Sohn mir von seiner Schule erzählte, musste ich mich zurückhalten, um nicht zu sagen: „Kind, lass mich in Ruhe!“

Ich will damit keineswegs sagen, dass es eine schlechte Arbeit ist. Aber ein kreativer Mensch braucht Selbstverwirklichung. Deshalb habe ich beschlossen, dieses Experiment zu beenden. Ich bin zu meinem Deutschkurs zurückgekehrt und parallel dazu habe ich mein Glück probiert, indem ich mich für einen Projektwettbewerb der britischen AIDS-Stiftung von Elton John beworben habe. Und: Unser Verein hat eine zweijährige Förderung gewonnen! Das bedeutet Arbeitsplätze für 15 Ukrainer und Steuereinnahmen für Deutschland. Ich werde als Projektkoordinatorin tätig sein. Wir starten bereits im Juli.

Natürlich hoffe ich, dass wir in einiger Zeit andere Finanzierungsquellen finden werden. Aber wer weiß, ob ich nicht irgendwann wieder putzen gehen muss, um mich und mein Kind zu ernähren. Deshalb finde ich es gut, dass ich diese Erfahrung gesammelt habe.


Dana Hrabarnyk, 44, Lagerhelferin, die plant, künftig Deutsch zu unterrichten

Dana Hrabarnyk

© privat

Ich bin ursprünglich Ökonomin von Beruf und habe als Bankfilialleiterin gearbeitet. Nach der Geburt meines dritten Kindes habe ich mich jedoch für einen Berufswechsel entschieden: Ich habe ein Lehramtsstudium absolviert und drei Jahre lang Englisch und Spanisch unterrichtet.

Als ich in Berlin angekommen bin, hatte ich nur wenige Deutschkenntnisse. Ich habe fleißig einen Sprachkurs nach dem anderen besucht. Aber mir wurde klar, dass das nicht ausreicht, um sprechen zu können: Dazu braucht man ein Sprachumfeld. Deshalb habe ich nach einem halben Jahr beschlossen, eine Arbeit zu suchen, auch wenn sie schlecht bezahlt und unqualifiziert sein sollte.

Die erste Einladung zum Vorstellungsgespräch war von einer Firma, die IT-Technik verkauft und repariert. Ich wurde dort sofort als Lagerhelferin eingestellt. Ich glaube, dass die pro-ukrainische Haltung der Firmeninhaber eine Rolle gespielt hat: Auf diese Weise wollten sie ihre Solidarität bekunden und haben mich aufgenommen, obwohl mein Deutsch noch recht schlecht war. Auch jetzt, nach fast drei Jahren, mache ich manchmal noch Fehler. Deshalb bin ich meinen Arbeitgebern dankbar für ihre Geduld. Generell sind sie aber ziemlich streng und kontrollieren die Arbeit sorgfältig.

Wir arbeiten in einem Großraumbüro. Zunächst war es für mich ungewohnt, keinen eigenen Raum zu haben. Ich bearbeite Bestellungen, verpacke Waren und bereite sie für den Versand vor. Ich arbeite zwei Tage pro Woche, jeweils acht Stunden. 90 Prozent der Zeit verbringe ich auf den Beinen. Nebenher lerne ich weiter Deutsch und absolviere eine Weiterbildung am Goethe-Institut in einem Pädagogikkurs „Deutsch als Fremdsprache“. Die Arbeit im Lager ist für mir ein Ausgleich: Die Hände sind beschäftigt, die Beine tun weh, aber der Kopf kommt zur Ruhe. Zumindest, wenn ich Drucker verpacke.

Ich hab die Anerkennung meines Pädagogikdiploms beantragt und hoffe, dass sie bewilligt wird und ich endlich in meinem Beruf arbeiten kann. Allerdings werde ich bis dahin bereits die Altersgrenze von 45 Jahren überschritten haben, nach der man in Deutschland ein sehr hohes Einkommen von mindestens 45.000 Euro pro Jahr benötigt, um ein Arbeitsvisum zu erhalten. Aber vielleicht wird es Ausnahmen für Mangelberufe geben, zu denen auch Lehrkräfte gehören. Ob es als zusätzlicher Vorteil gewertet wird, dass ich schnell erwerbstätig geworden bin, ist noch nicht klar. Aber ich bin selbst stolz darauf. Immerhin hänge ich nicht am deutschen Staat, sondern zahle – wenn auch noch wenig – Steuern und Rentenbeiträge.


Olha Formoda, 28, gewann vor Gericht gegen ihren Arbeitgeber

Olha Formoda

© privat

In der Ukraine habe ich zwei Hochschulabschlüsse erworben. Zuerst habe ich ein Medizinstudium abgeschlossen, dann den Master in Rechtswissenschaften erhalten. Ich arbeitete als Assistentin des Geschäftsführers in einem Unternehmen und engagierte mich ehrenamtlich, unter anderem in internationalen Projekten.

Hier habe ich in nur zwei Jahren Deutsch auf Niveau C1 gelernt. Und schon im letzten Monat meines Sprachkurses habe ich im Sommer 2024 einen Job als Assistenzärztin in einer privaten Praxis gefunden. Zunächst war ich begeistert – direkte Kontakte zu den Patienten, moderne medizinische Ausstattung, neue Berufskompetenzen. Ich habe es als eine großartige Chance empfunden, das deutsche Gesundheitssystem von innen kennenzulernen.

Mit der Zeit erlebte ich jedoch eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Meine Zeit in der Praxis endete mit einem Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht, bei dem es schließlich eine Einigung zu meinen Gunsten gab.

Ich hoffe, dass meine nächste Berufserfahrung positiver sein wird.

Olha Formoda, Ärztin

Jetzt bin ich auf der Suche nach einem neuen Job und hoffe, dass meine nächste Berufserfahrung positiver sein wird. Ich suche ein Unternehmen, dessen Werte mit meinen übereinstimmen: Gleichberechtigung, Unterstützung der Ukraine, faire Arbeitsbedingungen und flache Hierarchien.

Mein Masterdiplom in Rechtswissenschaften habe ich zur Anerkennung eingereicht. Aber das ist kein so schneller Vorgang. In naher Zukunft kann ich mir vorstellen, als Integrations- und Life-Coach oder Arbeitsrechtsberaterin für Menschen mit Migrationshintergrund zu arbeiten. Immerhin beherrsche ich fünf Sprachen und habe bereits Erfahrung in der Durchsetzung meiner Arbeitsrechte.


Anonym, 39, Ärztin wartet auf die Anerkennung ihres Diploms

Wenn ich auf das Jahr 2022 zurückblicke, lobe ich mich selbst: Ich habe wirklich viel getan, um in einem fremden Land in meinem Beruf zu bleiben. Ich glaube, 90 Prozent des Weges habe ich bereits hinter mir. Aber seit über einem Jahr trete ich auf der Stelle und mache mir Sorgen um meine Zukunft.

Im April 2024 habe ich die Deutschprüfung B2 bestanden und das Verfahren zur Anerkennung meines Diploms eingeleitet. Ich wusste, dass das kompliziert ist, deshalb habe ich parallel dazu mehr als zehn Briefe an Krankenhäuser geschickt, mit der Bitte, mir eine Hospitation zu ermöglichen. Ich wollte dieses kostenlose Praktikum machen, um das deutsche Gesundheitssystem kennenzulernen. Aber ich habe keine Antwort erhalten und bin ratlos, warum mir diese Tür verschlossen bleibt.

Manchmal bin ich einfach verzweifelt.

Eine ukrainische Ärztin, auf Jobsuche in Berlin

Ich bin meinen Beratern im Jobcenter sehr dankbar, dass sie mir nicht ein einziges Mal vorgeschlagen haben, einfach als Pflegekraft zu arbeiten. Einige meiner ukrainischen Kollegen mussten sich das allerdings anhören. Und ich bin dankbar, weil der deutsche Staat bereits mehr als 5.000 Euro für die beglaubigte Übersetzung meiner Unterlagen ausgegeben hat. Das sind Unmengen an Papier – allein die Liste der Studienfächer meiner medizinischen Hochschule umfasst 100 Seiten, dazu kommen noch 22 Seiten für die Assistenzarztzeit.

Manchmal bin ich einfach verzweifelt. Ich habe die Unterlagen im vergangenen September beim Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) eingereicht und im November eine Mitteilung per Post erhalten, dass sie noch geprüft werden.

Anfang dieses Jahres habe ich endlich die Genehmigung für den Deutschkurs C1 erhalten und diesen bereits abgeschlossen. Um die Berufserlaubnis zu erhalten, muss man jedoch eine Fachsprachenprüfung bei der Ärztekammer ablegen. Wann die Prüfung stattfindet, wurde mir noch nicht mitgeteilt. Einige meiner Kollegen haben mehrere Monate darauf gewartet. Am schlimmsten ist aber, dass sie danach selbst mit der Berufserlaubnis noch keinen Job gefunden haben.

Das sind qualifizierte Ärzte, die der Arbeitsmarkt angeblich braucht, aber sie sitzen zu Hause – mit anerkannten Zeugnissen, einer erlernten Sprache und ohne Berufstätigkeit. Mich besorgt auch, dass der vorübergehende Schutz für Ukrainer auslaufen könnte, bevor ich diese Prüfung bestehe. Er ist erst bis März 2026 gültig und es ist unklar, ob er danach noch verlängert wird. Und dann stellt sich die Frage, was ich hier all die drei Jahre gemacht habe, wenn man mir mal sagen dürfte: Geh zurück nach Hause.

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