Berlin: ICC: Absturz des Raumschiffs: Messe will Abriss
Die Messe Berlin bekräftigt ihren Wunsch an den Senat, einen möglichen Abriss und Neubau des Internationalen Congress Centrums am Messedamm zu prüfen. Die Betriebskosten seien gigantisch, darüber hinaus müsste das ICC auch noch für 100 Millionen Mark saniert werden.
Die Messe Berlin bekräftigt ihren Wunsch an den Senat, einen möglichen Abriss und Neubau des Internationalen Congress Centrums am Messedamm zu prüfen. Die Betriebskosten seien gigantisch, darüber hinaus müsste das ICC auch noch für 100 Millionen Mark saniert werden. Als "empörend" hat der Architekt des ICC, Ralf Schüler, am Freitag die Abrissdiskussion bezeichnet. Die Bürger Berlins hätten für dieses weltweit anerkannte Bauwerk immerhin fast eine Milliarde Mark ausgegeben, die nicht einfach "auf den Müll" geworfen werden dürften.
Über dem ICC sind dunkle Wolken aufgezogen, nachdem im Wirtschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses erstmals ein Abriss des Hauses angeregt wurde. Die hohen Unterhaltungs- und Wartungskosten seien eine "Schraube ohne Ende", sagte gestern Messesprecher Michael Hofer. Das ICC verdiene bestenfalls 24 Millionen Mark im Jahr, koste aber 32 Millionen. "Irgendwann kommt die Pleite". Abriss und ein günstiger errichteter Neubau müssten nun vernünftig durchgerechnet werden. Das ICC könne vermutlich auch gar nicht ausgeschrieben werden. "Wer will die Kosten tragen?"
Die Kosten trägt das Land Berlin, doch mit wachsendem Widerwillen; die zuständige Senatswirtschaftsverwaltung strebt die Privatisierung an. Herrmann Borghorst, der Vize-Chef der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, hatte im Wirtschaftsausschuss angeregt, die Verluste des Hauses mit dem Abriss und einem Neubau zu vergleichen.
Ähnlich äußerte sich Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner, sprach aber von Gedankenspielen und sah einen "langwierigen Prozess" voraus. Seine Verwaltung aber sagte zu, Abriss und Neubau zu "prüfen", und Messechef Raimund Hosch kündigte bereits an, kleinere Kongresse könnten vorübergehend in der Avus-Nordkurve veranstaltet werden, in einer geplanten "TV-Arena".
Ralf Schüler, der mit seiner Frau Ursulina Schüler-Witte das ICC entworfen hatte, glaubt, dass Abriss-Überlegungen von der Messe selbst ins Gespräch gebracht und von Politikern nur hinausposaunt wurden. Die neue Messeleitung habe Aversionen gegen das ICC, das natürlich schon immer Geld gekostet habe. Senat und Messe hätten von Anfang an gewusst, dass ein Haus dieser Größenordnung nicht rentabel zu bewirtschaften sei, sondern sich für die Stadt insgesamt bezahlt mache. Man könne nicht ein Milliarden-Objekt, das 15 Jahre geplant und gebaut worden sei, nach zwei Jahrzehnten wieder abreißen und auf diese Art Steuergelder verschleudern, betonte Schüler. Es sei auch unmöglich, ein Haus dieser Größenordnung für weniger Geld als vor 25 Jahren zu bauen. Was das ICC brauche, sei ein benachbartes größeres Hotel. Deshalb buchten zahlreiche Veranstalter andernorts. Die Messe werde den Anschluss an das weltweite Kongressgeschäft verlieren, wenn es darüberhinaus eine Abrissdiskussion gebe - über ein Bauwerk, das vor zwei Jahren zum Jubiläum hochgelobt worden sei.
Zum 20-jährigen Bestehen des "Raumschiffes" hatten Messe und Senat "eine der erfolgreichsten und gefragtesten Tagungsstätten der Welt" gefeiert und das Haus als Goldesel gerühmt: Die Region könne im Jahresdurchschnitt durch die Ausgaben der auswärtiger Kongressteilnehmer einen Kaufkraftzufluss von 100 Millionen Mark verbuchen. Die Messe sprach von einer beispiellosen Erfolgsgeschichte, von architektonischer Meisterleistung, von bislang fast 11 000 Veranstaltungen mit acht Millionen Besuchern: Das ICC habe der Stadt zwei Milliarden Mark Kaufkraft gebracht. Nicht eine einzige Veranstaltung sei wegen technischer Mängel oder organisatorischer Missstände ausgefallen oder abgesagt worden. Die Perspektiven des ICC seien weiterhin günstig, hieß es, und die Messegesellschaft rühme sich, eine wahre Flut von Großveranstaltungen bis zum Jahr 2005 fest gebucht zu haben. Das ICC sei unverzichtbarer Bestandteil des Berliner Dienstleistungsangebotes geworden. Aber beim Jubiläum fehlte auch nicht der Hinweis auf die wachsende Konkurrenz auf dem Tagungsmarkt - etwa das Estrel-Convention-Center in Neukölln neben dem Hotel.
Ende letzten Jahres weigerte sich die Messe, im Fall einer Grundstücksübernahme die Betriebskosten des ICC zu übernehmen und verwies darauf, dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren 677 Milionen Mark für die Erweiterung und Sanierung des Messegeländes investiert werden müssten. Sie will Grundstücke und Gebäude des Messegeländes vom Land Berlin übertragen bekommen, um für die großen Investitionen - neuer Südeingang, neue Hallen und Hochbauten auf dem Hammarskjöldplatz - kreditfähig zu sein. Aber das kürzlich noch gefeierte Flaggschiff ICC soll nicht hinein ins Paket.
Der futuristisch wirkende Bau, 320 Meter lang, 80 Meter breit und 40 Meter hoch, war Berlins erster "Milliardenbau". Ursprünglich mit 427 Millionen Mark veranschlagt, waren es 1988, neun Jahre nach der Eröffnung, bei der Schlussrechnung Kosten von 924,3 Millionen Mark. Großveranstaltungen waren unter anderem der Weltkongress der Kardiologie 1994 mit 22 000 Teilnehmern, der Welt-Aids-Kongress 1993, die Jahresversamlung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds 1988. "Willkommen in Europas größtem Kongresscentrum. Das ICC ist mit 80 Sälen und Räumen sowie den großzügigen Foyerflächen eine der bedeutendsten Veranstaltungsstätten der Welt" - so wirbt die Messe voller Stolz weltweit im Internet. Dem Lobeslied könnte bald ein Abgesang folgen.
Christian van Lessen