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Simone Krüger

© Tsp/Leonie Fischer

Update

„Ich find’ das unmöglich hier“: So erleben Anwohner die Bombenentschärfung in Berlin-Marzahn

Von der Polizei fühlen sich viele Bewohner des Sperrkreises schlecht informiert. Dennoch wollen die meisten sich von der Bombenentschärfung nicht den Tag vermiesen lassen.

Stand:

Wegen der geplanten Bombenentschärfung in Berlin-Marzahn laufen seit Donnerstagmorgen die Vorbereitungen für die Evakuierung. In einem 500-Meter-Sperrkreis rund um den Geraer Ring hat die Polizei damit begonnen, an Wohnungstüren zu klingeln und Anwohner auf die bevorstehende Aktion hinzuweisen. Rund 15.000 Menschen wohnen laut Polizei in dem Sperrkreis. Sie waren dazu aufgefordert worden, ab 6 Uhr das Areal rund um den Fundort zu verlassen.

Der 84-jährigen Marianne Sanft war das zu früh. „Die Polizei hat bei mir geklingelt und ich habe sie gefragt, ob ich noch ein Stündchen bleiben darf“, berichtet sie. „Sie meinten, sie warten auf mich. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, sag’ ich mal.“ Wie sie den weiteren Tag verbringt? „Naja, jetzt gehe ich erst mal an die frische Luft, das ist ja eh gut. Und dann gucke ich vielleicht in der Stadtbibliothek vorbei und lese was“, sagt sie.

Marianne Sanft will die Zeit bis zur Bombenentschärfung in der Stadtbibliothek verbringen.

© Tsp/Leonie Fischer

Simone Krüger hingegen ist erbost. „Ich find’ das unmöglich hier“, sagt die 56-jährige Anwohnerin. „Meine Tochter hatte wenigstens einen Zettel im Haus hängen, ich hatte keine Ahnung!“ Sie hätte sich eine bessere Kommunikation der Polizei gewünscht – nur dank ihrer Tochter wisse sie von der Evakuierung. Außerdem ist sie unglücklich über die Notunterkünfte: „Das sind ja alles Schulen. Was soll ich denn in einer Schule?“ Auch ihre Katze könne sie dorthin nicht mitnehmen, sagt Simone Krüger. „Die sitzt verängstigt unterm Bett.“ Am Morgen will sie zunächst zum Arzt gehen: „Ich bin total krank, mir geht’s richtig dreckig.“

Alles, was hier um 6 Uhr war, war die Müllabfuhr.

Rainer (58), Lokführer

Auch der 58-jährige Rainer ärgert sich über die Polizei. Er sei um 4.15 Uhr aufgestanden, um pünktlich um 6 Uhr aus dem Haus zu gehen, „so wie ich es in den Nachrichten gelesen habe“. Aber: „Alles, was hier um 6 Uhr war, war die Müllabfuhr. Find’ ich ein bisschen frech, dass die so ‘ne Ansage machen und dann selbst noch nicht da sind. Heute ist mein freier Tag!“, sagt der Lokführer, der seinen Tag nun an einem Kiosk in Ahrensfelde verbringen möchte.

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Währenddessen sind die Räumungen im Bereich der Flämingstraße in vollem Gange. Das weiß-rote Absperrband flattert bereits über die Gehwege, die Ansagen der Polizei hallen im Minutentakt durch die Straßen. Menschen mit Planschbecken über der Schulter und Kind unterm Arm verlassen ihre Wohnungen.

Antje Höhne und ihre Freundin Steffi Wegner beobachten das Spektakel von einem Balkon auf der anderen Straßenseite. Die 36-jährige Höhne ist Fußballtrainerin. Noch am Dienstagnachmittag hat sie auf dem Sportplatz trainiert, auf dem wenige Stunden später die Bombe gefunden wurde. „Das ist schon ein komisches Gefühl, zu wissen, dass wir uns dort die ganze Zeit mit unserem Team aufgehalten haben.“ Vor zwei Wochen habe auf dem Sportplatz noch ein Sommerfest stattgefunden. „100 Meter neben der Bombe stand eine Hüpfburg für die Kinder.“

Andere hatten Zettel im Briefkasten, ich hab’s nur zufällig mitbekommen. Das finde ich schon daneben.

Steffi Wegner (38), Anwohnerin

Während der Evakuierung nimmt Antje Höhne ihre Freundin Steffi Wegner bei sich auf. Wegner und ihre zwei Kinder im Alter von zwölf und sechs Jahren mussten die eigene Wohnung verlassen. „Das war ein ganz schöner Stress heute, der Kleine musste noch zum Arzt, dann habe ich die beiden zur Oma gebracht. Als ich nach Hause kam, um noch mal nach dem Rechten zu sehen, standen mir schon fünf Polizisten gegenüber“, schildert Wegner.

Antje Höhne (M.) und ihre Freundin Steffi Wegner (r.) beobachten den Polizeieinsatz aus sicherer Entfernung.

© Tsp/Leonie Fischer

Von der Räumung habe sie über Facebook erfahren. „Andere hatten Zettel im Briefkasten, ich hab’s nur zufällig mitbekommen. Das finde ich schon daneben“, sagt die 38-Jährige. Sie war es auch, die ihrem Vater Bescheid gesagt hat, der ebenfalls im Sperrgebiet wohnt. „Wenn ich es nur über Social Media mitbekomme, wie sollen es dann die Alten mitbekommen? Ich hab hier Leute gesehen, die mit Einkaufstüten nach Hause kamen und diskutieren mussten, dass sie die noch in den Kühlschrank stellen dürfen. Sie hatten keine Ahnung.“

Jorg Bugdalle hat erst am Mittwoch von seiner Nachbarin erfahren, dass die Anwohnerschaft evakuiert werden muss. „Sonst hätte ich das gar nicht mitbekommen“, sagt der 63-Jährige. „Ich mache aber das Gleiche, was ich eh gemacht hätte: Ich fahre zu meiner Schwestern in den Garten.“

Auf die Pläne von Jorg Bugdalle hat die Bombenentschärfung keine großen Auswirkungen – er wäre so oder so in den Garten seiner Schwester gefahren.

© Tsp/Leonie Fischer

Im Supermarkt, an der Haltestelle, am Kiosk: Überall reden Menschen über die Bombe. „Hätten se mal besser aufgeräumt nach’m Krieg“ oder „Mensch, hier is’ ja was los!“, heißt es da.

Den Kinderwagen in der einen Hand, ihren zweijährigen Sohn an der anderen, läuft Melanie Johne an der Grenze des Sperrgebiets entlang. „Wir gehen jetzt schön frühstücken mit der Krabbelgruppe von meinem Sohn und sind danach noch etwas unterwegs, ist ja schönes Wetter“, sagt sie.

Die Evakuierung betrifft zwar auch ihre Wohngegend, wirklich betroffen fühlt sie sich aber nicht: „Früh aufstehen muss man mit einem kleinen Kind ja sowieso.“ Ihr Vater hingegen sei krank und geheingeschränkt, berichtet die 32-Jährige. „Zum Glück kann er in eine der Notunterkünfte gehen, das ist ein gutes Angebot für ihn.“

Dass nicht alle Anwohner über die Evakuierung informiert wurden, räumt die Polizei auf Nachfrage ein. „Das ist der Kürze der Zeit geschuldet. Wir haben versucht, viele Menschen mit unseren Aushängen und über die sozialen Medien zu erreichen, aber aufgrund der Menge an Hausaufgängen haben wir es nicht geschafft, allen Bescheid zu geben“, sagt ein Polizeisprecher dem Tagesspiegel. (mit lea, dpa)

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