
© IMAGO/Lehtikuva (Archivbild aus 2023)
Ihr schlimmster Skandal war ein Tanzvideo: Sanna Marin äußert sich in Berlin zu sexistischen Anfeindungen
In den Nordischen Botschaften gibt sich Finnlands Ex-Ministerpräsidentin Sanna Marin überraschend nahbar. Sie stellt ihre Memoiren vor, kritisiert Donald Trumps Ukraine-Pläne – und gibt viel Persönliches preis.
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Andere Politiker stolperten über Machtmissbrauch oder die Veruntreuung von Staatsgeld – sie über ein Tanzvideo. Darüber scheint Sanna Marin zwei Jahre nach ihrer Amtszeit sogar ein bisschen stolz zu sein. „Ich wurde dafür kritisiert, dass ich getanzt habe – dabei gibt es so viele Bilder von Politikern, die tanzen oder Alkohol trinken“, sagte die finnische Ex-Ministerpräsidentin am Montag bei der Vorstellung ihrer Memoiren in Berlin.
Von 2019 bis 2023 war die heute 40-jährige Sanna Marin die wichtigste Frau Finnlands. Auf 319 Seiten hat die ehemalige Staatschefin nun aufgeschrieben, wie sie ihre Amtszeit erlebt hat. Bei der Vorstellung ihres Buches „Hope in Action – die Zukunft gehört uns“ in Berlin zeigte sie sich erstaunlich nahbar.
Auch Deutschland könnte für die Ukraine noch mehr tun.
Sanna Marin, finnische Ex-Ministerpräsidentin
Im Auditorium der Nordischen Botschaften sprach sie mit der Journalistin Helene Bubrowski von Table Media über sexistische Anfeindungen, ihre weibliche Vorbildfunktion und kritisierte Donald Trumps Friedensplan für die Ukraine. Anschließend nahm sie sich ungewöhnlich viel Zeit für das Signieren ihrer Bücher. Jeder, der wollte, konnte ein paar Minuten mit der ehemaligen Ministerpräsidentin plaudern, wie mit einer Nachbarin. Egal, wie sehr die Fragen vom Thema abwichen, Marin zeigte für alle ein offenes Ohr. Wobei dahinter wohl mitunter ein Verkaufsinteresse steckte – für ein Buch, das von finnischen Kritikern als eher belanglos abgetan wurde, wobei die Zielgruppe ein internationales Publikum sein dürfte.

© Bernhard Ludewig/Botschaft Finnland
Als Staatschefin hatte Marin die Finnen souverän in die Nato geführt. Seit 2023 ist sie strategische Beraterin am Tony Blair Institut, weshalb sie auch in Berlin hauptsächlich zu ihrer Einschätzung in Dingen Ukraine gefragt wurde. Die zuletzt öffentlich diskutierten Friedenspläne beunruhigten sie, sagte Marin, da diese ausschließlich zulasten der Ukraine gingen. „Ich würde gerne mehr Druck von den USA in Richtung Russland und russischer Führung sehen“. „Naiv“ fände sie es außerdem, wenn die Europäer zuließen, dass die Ukraine ihre Armee verkleinere. „Aber auch Deutschland könnte für die Ukraine noch mehr tun“, sagte Marin in Richtung Merz, ohne ihn namentlich zu nennen.
„Lipstick“- und „Pantyhouse“-Government
Den Termin in Berlin nutzte Marin außerdem, um auf inländische Kritik einzugehen. Zum Ende ihrer Amtszeit holte sie als Vorsitzende für ihre Sozialdemokratische Partei Finnlands (SDP) sogar zwei Prozentpunkte mehr heraus als bei ihrer Wahl 2019. Dennoch verlor sie knapp gegen die Konservativen und die rechtsnationalen Wahren Finnen. Diese bilden seitdem eine Regierungskoalition, wobei sie sich immer noch an der ehemaligen „Sanna-Marin-Regierung“ abarbeiten.
Momentan steht Marin wegen der hohen Staatsverschuldung in der Kritik. In ihre Regierungszeit fiel die Corona-Pandemie sowie der Angriffskrieg der Russen auf die Ukraine, der nicht nur in Deutschland, sondern auch in Finnland die Verteidigungskosten in die Höhe schießen ließ. „Finnland setzt die Ausgabenziele der Nato um“, betonte sie am Montag. Und sie erwähnt auch, dass sie das Geld gut investiert habe: Um die Wirtschaft in Fahrt zu bringen, um in Bildung und Zukunftstechnologien zu investieren. „Wir befinden uns in einer technologischen Revolution“, sagte die mondän in schwarz gekleidete Frau voller Selbstbewusstsein.

© Bernhard Ludewig/Botschaft Finnland
Daher auch der Titel ihres Buches „Hope in Action“. Nur, wenn wir handelten, könnten wir hoffen. Bei dem Gespräch mit Moderatorin Bubrowski blickt sie allerdings zunächst zurück. Wie nahm sie ihre Rolle als junge und weibliche Führungsfigur wahr? Männer und Frauen seien noch lange nicht gleich, sagte sie – nach 20 Jahren Politik komme sie leider zu diesem Ergebnis. So wurde ihre Regierung, in der mehrheitlich Frauen die Ministerien leiteten, von konservativen und rechten Parlamentariern mal als „Lipstick-“, mal als „Pantyhouse“-Regierung verspottet. Ihr sei sogar vorgehalten worden, dass sie in ihrer Studentenzeit als Kassiererin gearbeitet habe.
Kurz gibt Marin bei ihrem Auftritt in Berlin auch einen Einblick in ihren persönlichen Lebensweg. Ihr Vater sei Alkoholiker gewesen, ihre Mutter habe sich mit Jobs im Niedriglohnbereich durchgeschlagen. Als wenig privilegiertes Kind habe sie allerdings von den Aufstiegschancen des finnischen Bildungssystems profitiert. Für Marin eine Prägung, die sie in die Sozialdemokratie führte.
Doch warum zog sie sich aus der finnischen Politik zurück? In ihren eigenen Reihen wirft man ihr vor, dass sie lieber auf dem internationalen Parkett und bei Social-Media unterwegs ist. Warum wollte sie nicht als Oppositionspolitikerin weitermachen? Am Montag sagte sie dazu, dass dies unter anderem eine familiäre Entscheidung gewesen sei. „Als ich das Amt aufnahm, war meine Tochter keine zwei, jetzt ist sie sieben. Von diesen Jahren habe ich viel verpasst.“
Und dann sei da das Angebot von Tony Blair gewesen. Für sein Institut arbeitet sie seitdem als strategische Beraterin. „Ich wollte auch lernen und neue Erfahrungen sammeln“, sagt sie, ganz ohne Angst, wie eine Berufseinsteigerin zu klingen. Und noch eine sehr ehrliche Aussage klingt für deutsche Journalisten-Ohren ungewohnt und wenig herumlavierend: Eine Rückkehr in die Politik schließe sie überhaupt nicht aus. „Vielleicht ist irgendwann wieder der richtige Zeitpunkt gekommen, um eine Position anzustreben.“
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