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Was macht die Familie?: Immer nur an die eine denken

Wie ein Vaterdie Stadt erleben kann.

Lina hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen grünen Daumen: Sobald draußen ein Blatt im Winde winkt, winkt sie aus ihrem Kinderwagen zurück. Zimmerpflanzen erntet sie im Vorbeigehen von Vaters Schulter aus ab, die Unkräutlein in den Ritzen am Balkon zupft sie mit großer Sorgfalt. Beim Anblick von Tulpen in der Vase zieht sie die Nase kraus und schnieft, als wolle sie an ihnen schnuppern. Doch sobald man sie ihr in Reichweite schiebt, werden sie gefleddert. In einer unbeobachteten Minute hat sie sogar, die sonst immer um die Blumentöpfe krabbelnd das elterliche „Nein!“ erwartet, gleich eine Handvoll Erde verspeist. Die scheint ihr mittelmäßig geschmeckt zu haben: besser als pürierter Spinat, aber nicht so gut wie Erdbeeren, für die sie alles vergisst. Auch, dass sie erst fünf Zähne hat.

Fünf Zähne, elf Monate, zehn Kilo – Zeit für eine Zwischenbilanz. „Da ihr nicht in Prenzlauer Berg wohnt, wird es ja wohl kein hochbegabtes Kind werden“, hatte ein Bekannter kurz vor Linas Geburt orakelt. „Dafür brauchen wir auch keinen Kinderwagen für 1000 Euro“ hatten wir trotzig erwidert. Inzwischen sehen wir Lina auf bestem Weg zum Turbo-Abi, da sie bereits Stofftiere aus Plastikschachteln befreien kann und allein ihre Bilderbücher studiert. Sie hält sie zwar falsch herum, aber als Vater ist man natürlich trotzdem stolz und erzählt das nicht nur denen, die es wissen wollen. Weitere väterliche Interessen sind die Passform von Windeln, Qualitätsmerkmale von Stapelbechern, Giftwarnungen der Stiftung Warentest, die für Kinderwagenschieber uneinnehmbaren Tatra-Straßenbahnen der BVG, die alltägliche Raserei auch in schmalen Wohnstraßen. Ferner die geistige Erschließung und praktische Aufteilung des Kinderfreibetrages sowie die unbedingt vor 19 Uhr zu klärende Frage, ob man aus dem Kinderzimmer – das seine Vergangenheit als Büro nicht verleugnen kann – noch etwas braucht. Tagespläne werden durch Schlafenszeiten und Breierwärmungsmöglichkeiten strukturiert. So macht einen die Vaterrolle nicht nur verantwortungsbewusster, sondern auch für Mitmenschen schwerer erträglich. Die Jugend ist beendet und nur noch stundenweise zurückzuholen. Sofern sich in jenen Stunden jemand ums Kind kümmert und man die freie Zeit nicht braucht, um sich bei einem Rheumabad von der verschleißträchtigen Babyschlepperei zu erholen.Stefan Jacobs

Nächste Gelegenheit zum Abhotten wie in guten alten Zeiten, als die Loveparade noch unschuldig und Techno neu war: „Evolution Party“ mit Paul van Dyk & Gästen: Caligola (Mando Diao) und Rea Garvey (Reamonn). Samstag, 5. Mai, ab 22 Uhr, Arena Treptow (Eichenstraße), 19 Euro.

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