Berlin: In der Gegenwart verloren
Berlin braucht dringend eine Kunsthalle der Moderne
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Von Heiner Bastian Die Kunst der Gegenwart findet sich in Berlin nur in den Kunst-Werken und den Galerien. Sie ersetzen schon lange die Funktion der Museen. Die Berliner Galerien sind zum Aushängeschild der Stadt auf der Weltbühne der zeitgenössischen Kunst geworden. Die zeitgenössische Kunst in den Museen ist es seit Jahren nicht mehr.
Der Hamburger Bahnhof sollte nach dem Wunsch des letzten Generaldirektors, Wolf-Dieter Dube, auch, eine „Experimentierbühne“ sein, interdisziplinär, daraus ist in zehn Jahren nichts geworden. Die wirklich aufregenden, weltweit entstehenden künstlerischen Sprachen, kritische Botschaften, Reflexionen zu den Vorboten unserer zunehmend mediatisierten Wahrnehmung, Versuche über paradoxe künstliche Parallelwelten, all dies müsste im Museum zeitgenössischer Kunst reflektiert werden. Stattdessen geht man diesen Phänomenen wie einer toxischen Gefahr aus dem Weg.
Während sich die Berliner Galerien Weltgeltung erarbeiten, verspielen die Museen ihr Potenzial, geben ihre Ansprüche auf. Auch der Kunstpreis der Freunde der Nationalgalerie ist nur ein groteskes, überproportional teures Spektakel, das außerhalb Berlins nur Nachdenklichkeit fördert. Er verdeckt in Wahrheit eher einen zeitgenössischen Mangel und bewegt außer Selbstdarstellung nichts.
Eine Kunsthalle, wie sie von der Zeitschrift „Monopol“ propagiert wird, ist angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse dringend erforderlich. Der Hamburger Bahnhof hat eine Dekade lang bewiesen, daß er die Bedeutung und Herausforderung der Gegenwart nicht versteht und nicht wirklich will. Natürlich gibt es Ausnahmen. Aber er hat jede Kooperation, ja jeden Dialog mit Berlins Künstlern und Galerien abgelehnt. So hat Eberhard Havekost sein Atelier in Berlin und seine erste Museumsausstellung dennoch in Wolfsburg, Olafur Eliasson arbeitet ebenso wie Thomas Demand neben dem Hamburger Bahnhof – ihre ersten großen Ausstellungen fanden in der Londoner Tate Modern beziehungsweise im Museum of Modern Art, New York, statt. Für Berlin nicht akzeptabel! Peter Doig wird von der Charlottenburger Galerie Contemporary Fine Arts vertreten; seine letzte beeindruckende Ausstellung in Deutschland fand in der Pinakothek der Moderne in München statt. Warum nicht in Berlin? Daniel Richter wird demnächst in der Kunsthalle Hamburg und anderen Orten zu sehen sein.
Eine Kunsthalle wäre endlich jene Institution, die Berlin nicht eine weitere Stätte der Betriebsamkeit oder der spektakulären Events bescherte, sondern ein junges Haus, eine variable Bühne: hochmotiviert, süchtig nach Gegenwart. Und sie wäre auch endlich das dringende Mode d’emploi eines kunstkritischen Zusammenfindens der Künstler, der Galerien und neuer Kuratoren in Berlin.
Die Berliner Gegenwart, von der man in New York oder Mexico City, in San Francisco oder London spricht, ist das Amalgam des subversiven Nebeneinanders lebendiger Widersprüche. In den Museen für zeitgenössische Kunst sind sie nie angekommen.
Ob die Kunsthalle am Schloßplatz in der Mitte Berlins temporär verwirklicht werden kann, wird eine pragmatische Antwort erfordern angesichts der offenen Fragen der verbleibenden Zeit für die Realisierung und der Kosten für Herstellung und Betrieb. Dass die Kunsthalle fehlt, steht außer Frage. Wir brauchen sie, denn wenn wir die Gegenwart nicht bestehen, wird uns die Zukunft nicht gehören.
Der Autor ist Kurator der Sammlung Marx im Hamburger Bahnhof. Zurzeit errichtet er neben der Museumsinsel auf dem Areal Am Kupfergraben/Hinter dem Gießhaus ein Galeriehaus, das eine Kunstbuchhandlung und mehrere Galerien für moderne Kunst beherbergen soll.
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