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Weihnachten in Berlin: In der stillen Nacht zeigt sich Textunsicherheit
An den Festtagen sind die Kirchenbänke voll. Heißt: Dauerdienst für Kirchenmitarbeiter. Und nicht alle Songs sind Weihnachtslieder.
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Im Berliner Dom werden sich an diesem Sonntag, an dem der vierte Advent und Heiligabend auf einen Tag fallen, die Menschen wieder drängen. Rund 10 000 Menschen werden einen der sechs Gottesdienste besuchen, Kirche im Schichtdienst. Heiligabend sind die Kirchen immer voll – anders als an normalen Sonntagen. Im vergangenen Jahr zählte die evangelische Kirche in Berlin rund 220 000 Besucher bei 772 Gottesdiensten. Die katholischen Gemeinden zählen nicht; gut gefüllt sind ihre Kirchen dennoch.
Weihnachten gilt zwar als das Fest für die Familie, die Pfarrer haben allerdings nur wenig Zeit für gemeinsame Stunden am Weihnachtsbaum, sie müssen predigen, Krabbel- und Familiengottesdienste halten, Christvespern oder -metten. Im gleichen Maße sind die Kirchenmusiker gefragt. Denn was wäre ein Kirchgang zu Heiligabend ohne „O du fröhliche“ oder „Stille Nacht“ und all die anderen traditionellen Lieder? Bisweilen müssen die Kantoren sogar noch mehr arbeiten als die Pastoren; denn manche Gemeinde hat zwar zwei Pfarrstellen, aber nur eine für die Kirchenmusik.
Kilian Nauhaus ist Kantor der Französischen Friedrichstadtkirche, mitten im Herzen der Stadt. Er kennt das aus vielen Jahren, dass er Heiligabend vormittags den ersten Gottesdienst des Tages im Französischen Dom am Gendarmenmarkt musikalisch gestaltet, anschließend nachmittags die Christvespern, danach einige Zeit mit der Familie verbringt, um am späten Abend bei der Christmette wieder an der Orgel zu sitzen. Auch in diesem Jahr hat er ordentlich zu tun. In einem Gottesdienst am Nachmittag leitet er zudem noch den Chor der Gemeinde.
Fünf Lieder sind Pflicht
Ähnlich geht es Lars J. Lange, der für die Kirchenmusik der kleinen Gemeinde Mariendorf-Süd zuständig ist. In diesem Jahr hat Lange, Vater zweier kleiner Söhne, Glück: Er muss nur drei Gottesdienste musikalisch übernehmen. Ein musikbegeisterter Jugendlicher hat sich bereit erklärt, die zwei Krippenspielgottesdienste am Nachmittag zu begleiten.
In Mariendorf bildet sich am 24. Dezember vor der Kirche, einem an eine Sporthalle erinnernden Zweckbau, stets eine Menschenschlange; nicht jeder Besucher bekommt einen Sitzplatz. Lange findet, dass im Weihnachtsgottesdienst auf jeden Fall fünf Lieder gesungen werden sollten. Gerne mehr, aber nur, wenn der nicht-musikalische Teil des Gottesdienstes nicht zu lange ist. „,O du fröhliche‘ muss immer dabei sein“, sagt Lange. „Aber die Leute freuen sich auch über andere Gassenhauer wie ,Stille Nacht‘ oder ,Ihr Kinderlein kommet‘“.
Gesungen wird laut, und bei „O du fröhliche“ eindeutig am lautesten und am textsichersten. Dennoch gibt es Texthefte, damit der Gesang auch nach der ersten Strophe noch voll und und kräftig ertönt. „O du fröhliche“ – dieses Anfang des 19. Jahrhunderts geschriebene Weihnachtslied nennt auch Nauhaus als Erstes bei den unverzichtbaren Titeln für den Heiligen Abend, gefolgt von der stillen Nacht.
Auch bei den katholischen Gottesdiensten in der Stadt dürfen diese Lieder nicht fehlen. Sie gehören zum Standard. Es gebe aber auch viele nicht-deutschstämmige Gläubige, und diese hätten auch noch ihre eigenen Lieder, die gesungen werden, sagt Stefan Förner, Sprecher des Erzbistums Berlin. Allgemein gilt: Weihnachten keine Experimente. Die Menschen möchten die traditionellen Lieder.
Das Singen hat nachgelassen
Nicht mit ins Programm für den Gottesdienst gehören laut Kantor Nauhaus jedoch Melodien wie „O Tannenbaum“, die viele ebenfalls gerne in der Weihnachtszeit singen und auch in der Kirche erwarten. „Dies ist aber ein Winterlied“, sagt Nauhaus, „kein Weihnachtslied.“
In seiner mitten im Zentrum der Stadt gelegenen Kirche, die durchaus auch Touristen anzieht, hat er in den letzten Jahren immer mehr die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen selbst zu Weihnachten bei den bekannten Liedern nicht mehr mitsingen; nur die wenigsten erheben noch ihre Stimme. „Ich habe das Gefühl, dass manchen Leuten die Kehlen zugeschnürt sind“, sagt Nauhaus. „Das Singen als Ausdrucksform der Seele hat nachgelassen.“ Was er sehr bedauert.
Und welches Lied mögen die beiden Kirchenmusiker am liebsten? Nauhaus nennt „Ich steh an Deiner Krippen hier“. Dies beschreibe am besten, worum es zu Weihnachten geht. Langes persönlicher Favorit ist „Hark! The Herald Angels Sing“, nach Felix Mendelssohn Bartholdy – das Lied steht aber nicht im Gesangbuch.
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