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Geprellte Erben. Rebecca und Yehuda Even-Zohar, Nachfahren jüdischer Textil-Industrieller aus Berlin, wolle sich weiter wehren. Die deutschen Behörden verweigern eine Entschädigung für Familienbesitz, den die Nazis enteignet hatten.

© Heiko Prengel

Jüdisches Ehepaar kämpft um Entschädigung: Enteignung durch die Nazis - Unrecht ohne Ende

Ein jüdisches Ehepaar aus New York kämpft seit Jahren um das von den Nazis enteignete Familienerbe. Doch der Bund lehnt eine Entschädigung ab und stützt sich dabei auch auf ein Gutachten aus der NS-Zeit.

Ihren Humor haben sich Rebecca und Yehuda Even-Zohar nicht nehmen lassen. Trotz allem, was die Deutschen während der Nazizeit ihren Familien angetan haben. Das lebenslustige Ehepaar aus New York kommt gerne nach Berlin. In Steglitz wohnen die Even-Zohars in einem schicken Hotel, wenn sie mal wieder in der Stadt sind. Und die beiden sind oft hier. Seit fast einem Vierteljahrhundert kämpfen sie bei den deutschen Behörden um Wiedergutmachung für von den Nazis begangenes Unrecht. Bislang erfolglos: „Das ist eine unendliche Geschichte“, sagt Rebecca Even-Zohar.

Die 72-Jährige ist die Enkelin der Geschäftsleute Karantbeiwel, einer jüdischen Unternehmerfamilie. In den 1930er Jahren besaßen die Karantbeiwels in Berlin eine große Kleiderfabrik in der Kommandantenstraße in Mitte. Acht Modeläden hatte die Jersey Club GmbH, sogar einen auf dem Ku’damm. Anfang der 30er Jahre gab es in der Reichshauptstadt rund 50 000 jüdische Betriebe, das war gut die Hälfte aller jüdischen Unternehmen in Deutschland. Dann begann die Verfolgung durch die Nazis.

Als die SA-Schläger zu wüten begannen, flohen die Karantbeiwels mit ein paar Koffern ins Ausland. So seien sie der Deportation und Ermordung entkommen, erzählt Rebecca Even-Zohar. Weniger Glück hatte die Familie von Ehemann Yehuda. Seine Eltern flüchteten mit ihm 1938 von Wien nach Schanghai und emigrierten dann nach Israel. Doch fast alle übrigen Verwandten wurden Opfer der Nazis. „Von 72 Familienmitgliedern wurden 65 ermordet“, sagt der 76-Jährige.

Die Jersey Club GmbH in der Berliner Kommandantenstraße übernahm nach der Enteignung ein „arischer“ Unternehmer. Nach dem Krieg beschlagnahmte die sowjetische Militäradministration die Firma und liquidierte sie. Als 1961 die Mauer gebaut wurde, fiel das Grundstück direkt in den Bereich des Todesstreifens. Heute liegt dort ein Parkplatz, an den Betrieb der Karantbeiwels erinnert nichts mehr.

1953 stellte die Familie Antrag auf Rückerstattung ihres Vermögens. Dieses Recht erhielten jüdische Überlebende nach dem Krieg, aber nur in der Bundesrepublik und West-Berlin, nicht in der DDR. „Während im Westen der Anspruch auf Privateigentum mit bürgerlicher Existenz verknüpft wurde, sollte das Privateigentum in der DDR ja gerade überwunden werden“, erklärt der Historiker Christoph Kreutzmüller, der sich lange mit der jüdischen Gewerbetätigkeit in Berlin beschäftigt hat. Mit anderen Worten: Enteignete, deren ehemalige Geschäfte auf DDR-Gebiet lagen, hatten Pech. Sie bekamen keinen Pfennig Entschädigung. Erst nach der Wiedervereinigung konnte es zu einer Wiedergutmachung auch auf ostdeutschem Boden kommen.

1990 stellten die Karantbeiwels ihren Antrag auf Rückerstattung neu. Der Prozess dauert bis heute an. „Testamente oder Erbscheine, ständig fordern die Behörden neue Dokumente. Dabei haben sie längst alles“, sagt Rebecca Even-Zohar, die mittlerweile die Verfahrensbevollmächtigte ist. Sie hat einen bösen Verdacht. „Die wollen nicht bezahlen.“ Fast 70 Jahre nach Ende des Nazi-Terrors sind die Antragsteller betagt, viele leben nicht mehr. Spielen die deutschen Behörden auf Zeit?

Für die Entschädigung enteigneter Holocaust-Opfer zuständig ist die Bundesanstalt für Zentrale Dienste und Offene Vermögensfragen (BADV) in Weißensee. Tausende Fälle seien noch offen, sagt BADV-Sprecherin Ellen Händler. Etwa 50 000 Vermögenswerte, enteignet in den Jahren 1933 bis 1945, seien ungeklärt. Den Vorwurf, ihre Behörde verschleppe vorsätzlich, weist Händler zurück. Die Fälle seien „rechtlich sehr schwierig“, aber man arbeite mit Hochdruck an der Erledigung. Als Ziel habe man sich das Jahr 2018 gesetzt.

Der Fall der Karantbeiwels ist mittlerweile geklärt. Vor ein paar Tagen erhielten die Even-Zohars einen Brief vom BADV: einen Ablehnungsbescheid. Es gebe „keinen Entschädigungsanspruch“, steht darin in gefetteter Schrift. Denn zum Zeitpunkt der „Arisierung“ habe sich das Unternehmen in Berlin-Kreuzberg und damit im späteren Westberlin befunden. Das Vermögensgesetz berücksichtigt aber nur noch Fälle auf ehemaligem DDR-Staatsgebiet. Zudem sei die Firma Karantbeiwel im Jahr 1933 „konkursreif“ gewesen. „Aufgrund des negativen Reinvermögens besteht kein Anspruch auf Entschädigung.“

Erstaunlich ist, dass sich das BADV dabei offenbar auf die Analyse eines Wirtschaftsprüfers aus der NS-Zeit stützt. Nach Recherchen von Historiker Christoph Kreutzmüller war die Jersey Club GmbH keineswegs konkursreif, sondern ein florierender Betrieb mit 120 Mitarbeitern. Zudem konnten die Karantbeiwels wohl nichts dafür, dass sich in ihrem Fall Ost- und West-Gesetze überlagern. Mal wurde das Areal in der Kommandantenstraße 3-4, Berlin-Kreuzberg (West), dann Berlin-Mitte (Ost) zugesprochen. Deshalb einen Antrag fast 25 Jahre in der Luft hängen zu lassen und schließlich abzulehnen, sei schon „kafkaesk“, findet Kreutzmüller. „Da sind Großzügigkeit und guter Wille gefragt und keine Paragrafenreiterei.“

Die Even-Zohars sind zwar wieder in New York, doch sie geben die Hoffnung nicht auf. „Mein Vater hat immer gesagt, wir nehmen den Prozess niemals zurück“, sagt Tochter Rebecca. Vor dem Abflug hat sie dem BADV in Weißensee ein Einspruchsschreiben geschickt.

Haiko Prengel

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