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Berlin: Jugendliche rüsten zur Gegenwehr

Polizei fürchtet neue Entwicklung bei Jugendgewalt. Wer überfallen wurde, bewaffnet sich vorsorglich

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In einer Schöneberger Seitenstraße standen sie plötzlich vor ihm: zwei Jugendliche, die ihm ein Messer an den Hals hielten. „Geld und Handy!“ verlangten sie von dem 18-jährigen Gymnasiasten. Eine Raubtat unter Jugendlichen, die in Berlin schon zum Alltag gehört. „Abziehen“ heißt das heute. 3600 dieser Fälle hat die Polizei im vorigen Jahr bearbeitet. Doch bei Roman (Name geändert) sitzt die Wut tief. Er hat sich zur Gegenwehr gerüstet: mit Teleskopschlagstock und Pfefferspray, beides hat er kürzlich in einem Waffenladen gekauft. „Viele der Mitschüler haben Waffen, auch wenn sie darüber nicht offen reden“, sagt Roman später.

Eine Erfahrung, die auch viele Ermittler bei der Polizei gemacht haben. Einer von ihnen, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, bestätigt: „Ein Aufrüsten findet definitiv statt.“ Statistisch belegen könne er das nicht, doch das sei seine Erfahrung. „Wenn man seit Jahren in Kreuzberg oder Neukölln auf der Straße arbeitet, bekommt man das mit.“ Messer, Teleskopschlagstöcke sowie Gas- und Schreckschusswaffen organisierten sich Jugendliche über Kumpels oder andere Kontakte, „um gewappnet zu sein“. Es seien meist Jungen im Alter zwischen 12 und 18 Jahren, oftmals Deutsche aus Einfamilien- oder Mehrfamilienhaus-Siedlungen in Britz oder Rudow. „Auch Abiturienten sind mit dabei“, sagt er. Die Waffen seien für diese jungen Leute eine Art „Rückversicherung“, denn sie seien es leid, immer wieder von Gleichaltrigen in Cliquen „abgezogen“ zu werden. Laut Kriminalitätsstatistik sind im Jahr 2006 in Berlin knapp 30 Prozent aller Opfer unter 21 Jahre alt gewesen. Doch in Brennpunktbezirken, wo die Jugendgruppengewalt groß ist, sprechen Ermittler davon, dass die Zahl der jugendlichen Opfer bei 80 Prozent liegt. Denn nicht alle Taten werden auch angezeigt. „Bedrohungen, Nötigungen, kleinere Schlägereien sind bestimmt darunter. Die fließen nicht immer in die Statistik“, sagt der Ermittler.

Dass die Opfer aus Angst nun aufrüsten, könne keine Lösung sein, warnt er. Wer mit Waffen auf der Straße erwischt wird, hat ein Problem: „Die machen sich damit strafbar“, sagt der Polizist. Schließlich seien Gas- und Schreckschusspistolen erst ab 18 Jahren und nur in Verbindung mit dem kleinen Waffenschein erlaubt. „Wurfsterne, Teleskopschlagstöcke und bestimmte Messer dürfen 18-Jährige zwar kaufen, aber nicht draußen mit sich führen.“ Sie täten sich damit selbst keinen Gefallen. „Wenn die Täter beim Opfer eine Waffe entdecken, werden sie erst recht provoziert“, sagt er. Gewalt erzeuge nun mal Gegengewalt: „Die Spirale dreht sich immer weiter.“ Und bei jenen, die täglich Gewalt ausübten, sei die Hemmschwelle viel niedriger, eine Waffe zu benutzen. Im Gegensatz zu den Opfern, die jetzt aufrüsten.

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