Baugrund-Experten: Kein Höhen-Limit für Berliner Hochhäuser
Der Berliner Baugrund gilt als unberechenbar. Dennoch können Hochhäuser zweihundert oder dreihundert Meter in die Höhe wachsen. Denn nach oben gibt es keine Begrenzung.
Bevor das Hansaviertel ab 1874 bebaut wurde, ließen die Schöneberger Bauern ihre Kühe dort grasen. Ein sumpfiges, schlammiges Gelände. Maximal zweistöckig durften die Häuser hier sein, damit sie nicht im Morast versinken, hatte das königlich-preußische Bauamt angeordnet, doch die Investoren aus Hamburg scherten sich nicht weiter drum und bauten ein paar Stockwerke höher. War dann auch kein Problem.
Der Berliner Baugrund ist berüchtigt, aber viel besser als sein Ruf. Denn von ein paar Sumpfflächen am Spreeufer von Tiergarten und Mitte, an der Kurfürstenstraße oder am Mehringplatz abgesehen, ist die Innenstadt großflächig von feinen Sanden durchsetzt, in die sich ab und zu mal ein Findling verirrt – ein Erbe aus dem eiszeitlichen Urstromtal.
Der Fernsehturm ist ein Flachwurzler
„Sand ist gut tragfähig“, sagt Jens Karstedt, Baugrundexperte und ehemaliger Präsident der Baukammer Berlin. Da dürfen Häuser gerne in die Höhe wachsen, zweihundert oder dreihundert Meter – kein Problem. Das Betonfundament des Berliner Fernsehturms – mit 368 Metern das höchste Bauwerk Deutschlands – liegt nur drei bis sechs Meter tief in der Erde. Ein Flachwurzler, würde der Botaniker sagen. Der Fernsehturm in Frankfurt am Main wurzelt 18 Meter tief.
Die imposante Skyline der Finanzmetropole gründet auf Ton und Tonmergel, der auf Gewicht von oben wesentlich sensibler reagiert als märkischer Sand. Entsprechend tiefer und aufwändiger fallen die Fundamente aus. In Berlin wäre diese Skyline billiger zu haben. Der Vorteil an der Spree ist, dass morastige Böden meistens dicht unter der Oberfläche liegen. Entweder baggert man sie einfach weg oder bohrt dicke Betonpfähle durch sie hindurch. Bei den Treptowers an der Spree, rund 120 Meter hoch, durchstoßen 54 Betonpfähle eine drei Meter dicke Schicht aus „nicht tragfähigen organischen Böden“, darunter liegen 32 Meter Sand und Kies.
Treptowers sackten bis zu sechs Zentimeter ab
Die Treptowers sackten trotz der aufwändigen Gründung nach der Fertigstellung 1998 „unter Vollast“ bis zu sechs Zentimeter tiefer in den Boden, erzählt Karstedt, das sei aber unproblematisch. Inzwischen habe man die Setzungen von Hochhäusern in Berlin auf zwei bis drei Zentimeter reduziert. Der Tempelhofer Schwerbelastungskörper von Albert Speer sackte im Zweiten Weltkrieg noch rund 19 Zentimeter ab. Rund 70 Zentimeter soll der schiefe Turm von Berlin, fast 100 Meter hoch, aus dem Lot geraten sein, 1702 bis 1706 von Schlossbaumeister Andreas Schlüter errichtet. Sein königlicher Münzturm begann sich schon nach wenigen Jahren extrem zu neigen, obwohl er wie das gesamte Schloss auf robusten Eichenpfählen gegründet war. Nur sackten durch eine massive Torflinse weit unterhalb des Turmbaus auch die Pfähle ab. Der schlechte Baugrund kostete Schlüter seinen Job.
„Machen kann der Ingenieur alles“, sagt der derzeitige Kammerpräsident Ralf Ruhnau, solange es der Bauherr bezahlt. Auf der Museumsinsel ein Hochhaus zu errichten, wäre wahrscheinlich ökonomischer Harakiri. Zu den gefährlichen Torflinsen kommt noch der hohe Grundwasserstand und die für Hochhäuser generell teuren Brandschutzauflagen. Am möglichen Bauplatz für einen neuen 200-Meter-Turm am Europacenter in der City West ist im geologischen Atlas der Senatsverwaltung kein Torf oder Schlamm erkennbar. Vom Grund her also keine Bedenken.
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