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Dr. Om: Kleine Meditationen über die großen Fragen des Lebens - Folge 5

"Meine Tante war lange die Verwandte, die mir am nächsten war. Sie ist aber mit einem Mann verheiratet, der mit den Jahren zu einem harten Rechten geworden ist, der menschenverachtende Dinge sagt. Ich beginne nun, meine Tante zu verachten, weil sie seinen Hass hinnimmt. Ist das falsch?"

Hass, sagt der Buddha, ist eine Wurzel des Leids. Kurzfristig verursacht er Schmerz: Hass entsteht, wenn wir das Gefühl haben, dass uns jemand oder etwas Schaden zufügt oder wenn unsere Wünsche nicht erfüllt werden - oder auch als Reaktion auf eine große Angst. Wenn wir hassen, sind wir unglücklich und wollen, dass die Dinge anders werden, als sie sind.

Auch langfristig führt Hass zu Konflikten, zu zerbrochenen Freundschaften, zu Feindschaft. Nach dem Prinzip des Karma sind Handlungen, die in diesem Zustand vollzogen werden, destruktiv und führen zu zukünftigen schmerzhaften Erfahrungen. Die Denk- und Sprechweise Ihres Onkels, die Ihre Tante nun unglücklicherweise aufnimmt, ist ein Zeichen von psychologischem Schmerz - und überdies die Ursache zukünftiges Schmerzes.

"Mit Güte überwinde den Hass"

Ihre eigene negative Reaktion auf die menschenfeindlichen Dinge, die Sie hören, scheint einem ähnlichen emotionalen Muster zu folgen. Was natürlich ist - aber vielleicht gibt es ja einen anderen Weg? Einer der frühesten buddhistischen Texte, das Dhammapada, lehrt: "Mit Sanftheit überwinde den Ärger. Mit Güte überwinde den Hass. Mit Großzügigkeit überwinde die Selbstsucht. Mit Wahrhaftigkeit überwinde die Lüge." Diese Lehre klingt simpel, aber sie ist nicht einfach. Sie erfordert, dass Sie zuerst eine Haltung annehmen, die frei von Hass ist. Könnten Sie Ihren Verwandten mit sanftem und liebendem Geist gegenübertreten? Einem Geist, der ihre Gefühle versteht (aber nicht rechtfertigt)? Ein effektiver Weg hierhin ist die Selbstbetrachtung: Versuchen Sie zu verstehen, wie Wut und Abneigung in Ihnen selbst wirken, wann und warum sie auftauchen, wie sie sich anfühlen - und was Ihnen hilft, diese Gefühle zu mildern.

Wenn Sie es schaffen, Ihrer Tante und Ihrem Onkel von einer Position aus gegenüberzutreten, die das Wesen des Hasses versteht, ebenso wie die besten Wege, ihn zu besänftigen, dann werden Sie auch mit dem Hass Ihrer Verwandten besser umgehen können. Das Dhammapada weiß: "Noch nie in dieser Welt hat Hass gestillt den Hass. Nur liebende Güte stillt den Hass. Dies ist ein ewiges Gesetz."

Oren Hanner, 1979 in Jerusalem geboren, promovierte in Buddhismuskunde an der Uni Hamburg und lehrt heute an der Universität Berkeley. Schicken Sie Ihre Frage an om@tagesspiegel.de

Oren Hanner

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