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Ein guter Gastgeber würde Essensreste niemals ausführlich am Tisch thematisieren.

© imago/CTK Photo

Kolumne: Fallstricke des Alltags: Eine Portion Feinfühligkeit

Was tun, wenn man bei einem Abendessen seinen Teller nicht leer isst und die Gastgeberin nach den Gründen fragt? Unsere Kolumnistin weiß Rat.

"Aus gesundheitlichen Gründen muss ich gerade eine Diät machen. Trotzdem bin ich der Einladung einer Kollegin gefolgt, die ihre Beförderung mit einem selbst zubereiteten Abendessen feierte. Ich wollte einfach gern dabei sein, bin ja auch nicht bettlägerig krank. Als die Gastgeberin sah, dass ich meinen Teller nicht leer gegessen hatte, fing sie an, mich nach den Gründen zu befragen. Das war mir unangenehm. Wie reagieren, wenn solch eine Situation wieder auftritt?" Jonas, zurückhaltend

Es gibt viele gute Gründe, einen Teller nicht völlig leer zu essen. Menschen, die aus beruflichen Gründen oft an gesetzten Essen teilnehmen müssen, aber gleichzeitig schlank bleiben wollen, entwickeln eine Übung darin, sich essend zu geben, ohne dabei allzu viel zu sich zu nehmen. Sie zerschneiden die Speisen, schieben sie hin und her, nehmen tatsächlich aber oft nur zwei oder drei Probierhappen gegen den gröbsten Hunger.

Das erfordert Selbstdisziplin, aber die Alternative, eine unförmige Figur, wirkt eher noch unattraktiver als das Image, ein undankbarer Esser zu sein. Ganz abgesehen davon kennen Gastgeber, die in dieser Welt verkehren, das Spiel und würden Essensreste niemals ausführlich thematisieren.

Es ist immer in Ordnung, kurz zu fragen, ob alles in Ordnung war. Das gibt dem Gast die Chance, sich zu erklären, wenn er gern etwas gegessen hätte, dies aber nicht konnte, weil die Speisen hoffnungslos versalzen, angebrannt oder sonst wie ungenießbar waren. In den seltensten Fällen wird dies der Fall sein.

Nicht vor anderen Gästen bloßstellen

Normalerweise lautet die korrekte Antwort: „Alles war wunderbar, aber ich schaffe heute einfach nicht so viel.“ Mit dieser Antwort sollte sich ein Gastgeber unbedingt zufriedengeben. Dahinter können sich viele Gründe verbergen, die alle nicht Teil des allgemeinen Tischgesprächs werden und auch nicht die Feierstimmung verderben wollen.

Sind die Gastgeber ernsthaft besorgt und handelt es sich bei dem temporär asketischen Gast um einen guten Freund, kann man nach dem Fest immer noch nachhaken und sich diskret erkundigen, ob etwas nicht in Ordnung ist, wo man vielleicht helfen könnte.

Dass man ihm zunächst gute Gründe zugesteht, ohne ihm die unter allen Umständen vor versammelter Mannschaft entlocken zu wollen, kann ein echter Freundschaftsdienst sein, der auch sicher geschätzt wird. Trauen Sie dem Gastgeber so viel Einsicht nicht zu, rufen Sie einfach vorher kurz an und sagen, dass Sie gerne kommen wollen, aber gerade nicht so viel essen können. Ob das okay sei? Dann geben Sie ihm die Möglichkeit, Ihnen mit einer kleinen Probierportion unauffällig entgegenzukommen.

Bitte schicken Sie Ihre Fragen mit der Post (Der Tagesspiegel, „Immer wieder sonntags“, 10876 Berlin) oder mailen Sie diese an: meinefrage@tagesspiegel.de

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