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Berlin: "Körperwelten": Tote auf Tour

"Wissen sie, wie groß ihre Niere ist?" - "Nö.

"Wissen sie, wie groß ihre Niere ist?" - "Nö." Der Frau hat es für einen Moment die Sprache verschlagen. Sie sieht eine plastinierte Frauenleiche mit einem plastinierten Baby im Bauch, daneben steht Dr. med. Angelina Whalley mit einem Kaffee in der Hand und lächelt besänftigend. "Sehen sie", sagt Whalley vom Heidelberger Institut für Plastination, "unser Körper ist doch wunderschön - auch von innen." Die Besucherin klettert aus dem großen Bus zurück auf den Marlene-Dietrich-Platz und tritt von einem Bein auf das andere, erst mal frische Luft schnappen. Dabei riecht die präparierte Doppel-Leiche, die auf der Seite liegt wie jemand, der es sich auf dem Sofa bequem macht, überhaupt kein bisschen. Der Bus soll für die Ausstellung "Körperwelten" werben, die am 10. Februar im ehemaligen Postbahnhof am Ostbahnhof eröffnet wird - wie Zirkusleute mit Elefanten und Kamelen auf die Vorstellung aufmerksam machen, zieht der Erfinder der Plastination, Prof. Gunther von Hagens, mit der toten Schwangeren und seinem Promotion-Team durch die Stadt. Wo bei BVG-Bussen die Liniennummer angezeigt wird, steht am "Körperwelten"-Bus: "Die Faszination des Echten". Und echt faszinierend ist sie, die plastinierte Frau mit den fleischigen Brustwarzen - mit einer distanzierten Melange aus Abscheu und Neugier begutachten völlig überraschte Potsdamer-Platz-Touristen die sterblichen Überreste derjenigen, die zu Lebzeiten eine Einwilligung unterschrieb.

Über das Schicksal der Frau und ihre Motive, sich plastinieren zu lassen, wird nichts verraten. Das Einzige, was für die Ausstellungsmacher zählt, sind Gedärm, Sehnen und Blutbahnen in möglichst lebendiger Pose. Der Professor freut sich unterdessen über die meist positiven Reaktionen der Bus-Besucher. "Ich will die Anatomie zu den Menschen bringen", sagt der Mann mit dem schwarzen Hut, der den Menschen für die "Krone der Schöpfung" hält und die Anatomie demokratisieren will. "Und zwar ohne Grusel." Der Heidelberger Professor verfolgt ein erzieherisches Ziel und setzt auf die Macht der Abschreckung - die Ausstellung zeigt gesunde Organe neben kranken Körperteilen im direkten Vergleich. Doch wann ist für den Plastinator von Hagens die Grenze des guten Geschmacks erreicht? "Wenn ich aus einer Lunge eine Vase schnitzen würde, sie mit Wasser füllte und ein Gänseblümchen hineinstellte", schreibt von Hagens in seinem provokanten Pamphlet. Immerhin hat er schon mal darüber nachgedacht.

oom

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