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Auch der Zottelmantel der Klytämnestra aus „Elektra“ lagert im Fundus der Deutschen Oper.

© Frank Wentzel/Deutsche Oper

Kostümfundus der Deutschen Oper in Berlin-Charlottenburg: Vergoldet, vernäht, verstaut

Der Kostümfundus der Deutschen Oper erstreckt sich über vier Stockwerke. Ein Besuch bei Kostümdirektorin Dorothea Katzer.

Festliche Roben, Ballkleider, Anzüge, Freizeitkleidung: Für die nächsten Tage ist der Fundus der Deutschen Oper am Charlottenburger Standort gut gerüstet. Auf vier Stockwerken lagern die Kostüme nach Geschlechtern getrennt für die Opern „Boris Godunow“ am Mittwoch, „Eugen Onegin“ am Donnerstag und „Turandot“ am Freitag. Dann muss die Kostümabteilung der Deutschen Oper Dutzende, manchmal Hunderte Kleidungsstücke aus dem Repertoirfundus im Haus in die Garderoben der Solisten, Sänger und Statisten bringen, nach der Aufführung wieder einsammeln, aufhängen, waschen, gegebenenfalls flicken und dann zurück in den Fundus hängen. Danach beginnt die Prozedur erneut, denn am nächsten Abend muss alles für die nächste Aufführung bereit sein.

Dorothea Katzer steht in einem kleinen Büroraum neben dem Schuhfundus der Deutschen Oper an der gleichnamigen U-Bahnstation. Der bis unter die Decke mit Stiefeln, Pumps, Slippern und allen anderen erdenklichen Schuharten gefüllte Raum riecht nach Leder, auf der Fensterbank stapeln sich Paare, die noch nummeriert werden müssen. Alles ist akribisch dokumentiert, damit die Mitarbeiter der Kostümabteilung den Überblick behalten und nichts verloren geht.

„Von der Schleife bis zum Schnürsenkel haben wir alles“

Der Fundus umfasst mehrere tausend Stücke, von einer Basis an Hemden und Fräcken über Kleider, Roben, Federflügel, Schuhe, Kronen – „von der Schleife bis zum Schnürsenkel haben wir alles“, sagt Dorothea Katzer. Die Kostümdirektorin schwärmt von einmaligen Kleidungsstücken im Fundus. Für das Traumfresserchen im gleichnamigen Singspiel für Kinder von Wilfried Hiller und Michael Ende wurde ein aufblasbarer Gummi-Einteiler angefertigt, damit die Hauptfigur mit der Zeit immer mehr Träume fressen und dicker werden konnte. Klytämnestra in „Elektra“ trägt einen roten, gefilzten Zottelmantel, der ihr eine glamourös-bedrohliche Erscheinung verleiht. Bei der aktuellen Produktion „Andrea Chénier“ kleiden sich die dekadenten Adeligen in farbenfrohe Federkostüme. Es sind Glanzstücke eines bunten, vielfältigen Fundus, der jedes Jahr um rund 1500 Teile wächst. Immer wieder veräußert die Deutsche Oper Stücke wie beim Fundusverkauf Ende Februar, als 800 Teile den Besitzer wechselten. Andere Kostüme sind zu wertvoll und einmalig, „Museumsstücke“, nennt Katzer sie.

Kostümdirektorin Dorothea Katzer.
Kostümdirektorin Dorothea Katzer.

© Maria-Mercedes Hering

Die Kostümdirektorin nimmt eines dieser alten Stücke von der Kleiderstange, einen blauen Mantel mit goldenen Mustern. Bei näherem Hinsehen lassen sich in den glänzenden Kringeln angemalte Popcorn-Stücke erkennen. Ein graues Etikett an der Rückeninnenseite des Mantels gibt Auskunft über die erste Verwendung: 1958 trug diesen Mantel ein Darsteller bei „Boris Godunow“ in der Deutschen Oper, der Sänger lässt sich heute nicht mehr ermitteln. Bei den aktuellen Aufführungen bleibt der Mantel aber im Fundus, die Oper präsentiert sich in neuen Gewändern.

Damit alles vom ersten Kostümentwurf über die Logistik bei den Vorführungen bis zur ordentlichen Aufbewahrung reibungslos funktioniert, leitet Kostümdirektorin Dorothea Katzer rund 65 Personen an. Garderobe, Maske, Fundus, Werkstätten, Einkauf, Lagerverwaltung, die Kostümdirektorin muss mit allen Beteiligten sprechen und ihre Aufgaben koordinieren. Wer ist wann in welcher Rolle und mit welchem Kostüm auf der Bühne? „Es muss bei jeder Aufführung alles auf die Sekunde getaktet sein“, erzählt sie.

Das Lager am Standort der Deutschen Oper in der Bismarckstraße in Charlottenburg wird „Repertoirefundus“ genannt – hier findet sich alles für aktuell geplante Aufführungen. Das sind zwischen 33 und 35 pro Jahr. Außerdem gibt es in Moabit einen weiteren Fundus für die Kostüme, die in der aktuellen Spielzeit nicht benötigt werden. Wenn ein Stück ausgestattet werden soll, lohnt sich oft ein Blick in die Reihen mit Kleiderstangen und Regalmeter an Schuhen, Schränke voller Hüte und Stoffbahnen in Charlottenburg und Moabit um noch das ein oder andere Accessoires zu finden.

„Manchmal werden Kostüme auch ausgeschlachtet“

Für Ballettvorführungen sind nach Dorothea Katzers 18-jährigen Erfahrung als Kostümdirektorin die Kostüme meist aus einem Guss. Dass sich im Moabiter Fundus noch schicke Ergänzungen finden, sei da seltener als bei Opern, für die eher etwas aus dem Bestand genutzt werden könne, sagt die Kostümdirektorin: „Manchmal werden Kostüme auch ausgeschlachtet.“ Dann bleibt von einem Kleid nur der Rock oder der Stoff eines Mantels wird umgenäht und für ein neues Stück benutzt. Die Neuproduktion findet allerdings nicht im Haus statt, sondern wird vom Bühnenservice Berlin und anderen Unternehmen übernommen.

Dorothea Katzer begleitet die Kostüme auf ihrem Weg von der ersten Idee über die Fertigung bis zum Einsatz und der Unterbringung im Fundus. Wie die Kostüme aussehen sollen, überlegen sich Kostümbildner, Regisseur und Bühnenbildner. „Sie müssen gemeinsam herausarbeiten, was sie an dem Werk interessiert und wie sie die Figuren darin präsentieren möchten“, erläutert Katzer. Menschen erfassten und reflektierten in Millisekunden ihr Gegenüber. „Im Mikrokosmos des Stücks muss das Publikum daher die Figuren erkennen und einordnen können.“ Das müssen alle Kostüme leisten.

Dorothea Katzer plant mit allen Beteiligten, wie die Entwürfe realisiert werden können. Ist die Menge an Kostümen realistisch? Wie kann das Material organisiert werden? Manchmal stehen 120 Menschen gleichzeitig auf der Bühne, alle müssen eingekleidet werden. Was muss man kaufen, was wird neu hergestellt, was gibt der Fundus her? Und ist das alles finanziell machbar? Die Kostümdirektorin und ihr Team planen, kalkulieren, überlegen. „Wir gehen an jedes Projekt neu heran“, sagt sie. „Das ist das Spannende an diesem Bereich“. Mit jedem künstlerischen Team komme neuer Input in den Prozess. „Ich liebe diese besondere Vielfalt. Man teilt die Lebenszeit nicht in Jahre, sondern in Projekte ein“, sagt Katzer.

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