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Hohe Ausgaben für Flüchtlingsunterkunft Tegel – aber wenig Kontrolle: Wer so mit Steuergeld umgeht, handelt verantwortungslos
Nicht richtig geprüfte Ausgaben, Mängel bei der Vergabe: Der Umgang des Senats mit Ausgaben in Tegel ist fatal – aus mehreren Gründen. Das muss sorgsam aufgeklärt werden.

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Wie lange kann eine akute Notsituation als Erklärung für Fehlverhalten gelten? Etwa bei den Ausgaben und der Vertragskonstruktion für die Geflüchtetenunterkunft Tegel: Nach Tagesspiegel-Informationen hat der Landesrechnungshof bemängelt, dass Ausgaben für den Sicherheitsdienst nicht ausreichend geprüft worden sind. Es geht um Rechnungen über 100 Millionen Euro aus den Jahren 2022 und 2023. Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) und die Senatssozialverwaltung verweisen diesbezüglich auf das Frühjahr 2022.
Zur Erinnerung: Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wurde Berlin zum Dreh- und Angelpunkt für ukrainische Geflüchtete. Unter hohem Druck mussten die Behörden binnen kürzester Zeit Tausende Menschen empfangen, unterbringen, für einen Teil die Weiterreise organisieren. Eine logistisch und menschlich enorme Herausforderung, die gemeistert wurde – mit großer Hilfe der Zivilgesellschaft.
Die damalige Notsituation kann aber nicht als Erklärung dienen, warum das Land Berlin fast zwei Jahre lang bei der Überprüfung der Ausgaben nicht richtig hinsah. Und das, obwohl die hohen Kosten auffielen, wie aus den Verträgen hervorgeht. Warum sonst hätte das LAF im Dezember 2022 nachträglich in den Vertrag mit der Messe schreiben sollen, dass „berechtigte Interessen des Landes Berlin, insbesondere hinsichtlich der Reduktion von Kosten“, zu berücksichtigen seien?
In Zeiten knapper Kassen und gesellschaftlicher Spannungen derart mit Steuergeld umzugehen, ist gleich aus mehreren Gründen verantwortungslos. Ordentliche Haushaltsführung – zu der auch eine ausreichende Rechnungsprüfung gehört – ist zu jeder Zeit geboten. Sie ist aber umso wichtiger in Zeiten, in denen der Senat starke finanzielle Einschnitte machen muss: Studienplätze werden gekürzt, soziale Angebote müssen heruntergefahren werden, manche Projekte enden ganz. Vor diesem Hintergrund müssten Berlins Behörden erst recht sorgsam mit Ausgaben umgehen.
Verantwortungslos ist das Handeln noch aus einem weiteren Grund: Ausgaben für Geflüchtete werden von der Öffentlichkeit besonderes streng beobachtet und politisch vereinnahmt – auf Kosten der Geflüchteten. Dann heißt es, zu viel Geld käme ihnen direkt zugute. Aber die spärliche Notunterkunft ohne Privatsphäre allein erklärt keine Kosten in dreistelliger Millionenhöhe. Von den Ausgaben profitieren vor allem andere. Nicht nur die Messe, auch der Sicherheitsdienstleister machten gute Geschäfte.
Offene Fragen müssen geklärt werden
Der Fall wirft viele weitere Fragen auf, die der Senat klären muss: Warum prüfte die Messe die Rechnungen nicht ausreichend? Warum hielt das Land bis heute an dem Konstrukt fest, die Security über die Messe beauftragen zu lassen? Und wie kann es sein, dass das landeseigene Unternehmen mehrere Jahre mit einem Sicherheitsdienstleister zusammenarbeitete, obwohl es längst eine neue Ausschreibung für den Vertrag hätte geben müssen? Warum übertrug das LAF die Rechnungsprüfung überhaupt an die Messe, obwohl diese selbst durch einen 15-Prozent-Aufschlag davon profitierte – und selbst mehr vom Land kassierte, je höher die Rechnungen waren?
Politisch verantwortlich sind neben LAF und Messe die für sie verantwortlichen Senatsverwaltungen. Bis Ende April 2023 war Katja Kipping (Linke) Sozialsenatorin, seitdem Cansel Kiziltepe (SPD). Der für die Messe zuständige Wirtschaftssenator war bis zum Amtsantritt von Schwarz-Rot Stephan Schwarz (zunächst parteilos, dann SPD), seit Ende April ist es die Ex-Regierende Franziska Giffey (SPD).
Dass die Messe nun nicht mehr für den Neubau der Unterkunft in Tegel zur Verfügung steht, ist folgerichtig. So oder so gilt: Auch wenn die Aufgaben künftig neu verteilt werden, müssen die Vorwürfe zu den vergangenen Jahren aufgeklärt werden.
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