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Duo aus Dobrins Café. Die Zepernicker Künstlerin Rose Schulze entdeckte Sahne- und Kaffeekanne beim Aufräumen wieder.

©  Rose Schulze

Malerin findet Kännchen beim Aufräumen: Die fast vergessene Geschichte der jüdischen Conditorei Dobrin

Zwei Kännchen dienen lange als Malobjekte in einer Kunstschule – bis der Leiterin auffällt: Sie stammen aus dem Kaffeehaus eines jüdischen Berliners.

Jahrelang steckten Kaffeekanne und Sahnekännchen unbeachtet in der Kiste „Stillleben“, neben anderen Utensilien, die man in einer Malschule eben so braucht, um die künstlerischen Eleven auch an dieses Sujet heranzuführen. Ob sie selbst sich schon einmal daran versucht hat? Rose Schulze, Malerin und Performancekünstlerin aus Zepernick und Inhaberin der Kunstschule Panketal, muss ein wenig nachdenken, erinnert sich vage an Zeichnungen, aber die existierten nicht mehr. Eigentlich fand sie das zweiteilige Service, außen silbern, innen vergoldet, eher hässlich, muss es wohl auch mal zu seinem eigentlichen Zweck benutzt haben, weiß jedenfalls noch, dass der Griff der Kanne immer sehr heiß wurde.

Ein Alltagsgegenstand also, der sie nicht sonderlich kümmerte – bis die Coronakrise kam und mit ihr viel Zeit, den in Kisten und Kästen angesammelten Krempel mal durchzusehen und das eine oder andere Teil wegzuwerfen. Und da stieß sie auf einen nie beachteten, vielleicht nie registrierten Namen auf der Unterseite der beiden Teile: „Conditorei Moritz Dobrin“.

Die Rückkehr des Zuckerlöffels

Dobrin? Nie gehört, aber wozu gibt es Internet. Und da stieß sie bald auf eine Geschichte von 2014, über die damals auch der Tagesspiegel berichtet hatte: In deren Mittelpunkt stand ein Zuckerlöffel, ebenfalls aus Silber, vorne eingraviert „Moritz Dobrin’s Conditorei“, hinten „Entwendet“. Eines der wenigen Dinge, die noch an die einst in Berlin erfolgreiche Konditoreikette Dobrin erinnern. Die Dobrins waren Juden, wurden von den Nazis verfolgt. Moritz Dobrin überlebte, seine Frau Helene nicht.

Feine Adresse. Die Kaffeehäuser der Familie Dobrin gab es nur an den besten Adressen Berlins wie am Kurfürstendamm.
Feine Adresse. Die Kaffeehäuser der Familie Dobrin gab es nur an den besten Adressen Berlins wie am Kurfürstendamm.

© privat

Der Löffel war auf nicht ganz rekonstruierbarem Weg zu Alexandra Scholz und ihrer Mutter Barbara in Alt-Marzahn gelangt, vielleicht von ihrer Großmutter als kleines Mädchen stibitzt oder ihr geschenkt – deren Vater war Schokoladenverkäufer, den sie oft in Kaffeehäuser begleitete, wo sie auch sang, zur Unterhaltung der Gäste und zur Steigerung des Schokoladenverkaufs. Auch Alexandra Scholz war übers Internet auf den Vorbesitzer des Löffels gestoßen, die Geschichte endete mit einer rührenden Szene vor der ehemaligen Villa der Dobrins in der Grunewalder Hagenstraße 19, wo zwei neue Stolpersteine verlegt wurden und der Löffel den angereisten, in London und Jerusalem lebenden Nachkommen des Konditorpaares zurückerstattet wurde.

Und nun hat sich diese Geschichte mit Kaffeekanne und Sahnekännchen noch einmal wiederholt. Denn auch für Rose Schulze war es selbstverständlich, dass die beide an die Nachkommen Dobrins übergeben werden. Über die Stolperstein-Initiative für Charlottenburg-Wilmersdorf fand sie Kontakt zum Londoner Zweig der Familie, schickte ihr die beiden Teile. Josie Dobrin, Urenkelin des Konditors, bedankte sich überschwänglich – „Es bedeutet uns so viel“ – und sandte ein Foto ihrer jüngsten Tochter, die Kanne und Kännchen freudestrahlend in Händen hält.

Das Geschenk der Puppenspielerin

Aber wie kamen die beiden Teile zu Rose Schulze? Das lag an der Puppenspielerin Ilse Iwowsky und ihrem Mann Carl. Die beiden betrieben eine Marionettenbühne im alten Scheunenviertel, wirkten auch in dem 1954 gedrehten Defa-Film „Pole Poppenspäler“ mit. 1958 wurde die Bühne geschlossen und die Iwowskys zogen nach Zepernick, einem Ortsteil der im Nordosten an Berlin grenzenden Gemeinde.

Rose Schulze wohnte als Kind in derselben Straße, besuchte auch das kleine Theater, das die Puppenspieler in dem Ort betrieben, fand später als Berliner Kunststudentin in den Marionetten spannende Bildmotive, freundete sich mit der 1970 verwitweten Ilse Iwowsky an. Als diese um 1990 nach Westdeutschland zog, verschenkte sie viel von ihrem Hausrat. Auch Rose Schulze bekam eine ganze Kiste voller Bücher – und dazu, lange unbeachtet, Kaffeekanne und Sahnekännchen.

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Die Konditoreien und Kaffeehäuser der Brüder Moritz und Isidor Dobrin waren einst in Berlin stadtbekannt, galten als piekfeine Adressen. Tagsüber trugen Kellner und Serviermädchen weiße, nachts schwarze Arbeitskleidung. Moritz Dobrin, der sein Handwerk in Danzig gelernt hatte, konnte nach dem Ersten Weltkrieg binnen kurzer Zeit drei Konditoreien eröffnen, so am Spittelmarkt, wo es den ersten Espresso der Stadt gegeben haben soll.

Auch an der Friedrichstraße und am Kurfürstendamm, dort wo sich heute das Bristol Hotel, das frühere Kempinski, befindet, gab es Niederlassungen, vier weitere kamen später dazu. Sein Bruder war in der Jerusalemer Straße und an der Spandauer Brücke präsent.

Schon Döblin erwähnte das Kaffeehaus Dobrin

Man findet im Internet noch einige Spuren der beiden Zuckerbäcker, so wechselte Ende 2019 bei einer Auktion in Köln eine um 1926 entstandene Pastellzeichnung des Berliner Impressionisten Lesser Ury für über 130 000 Euro den Besitzer, die einen „Blick auf die Konditorei Moritz Dobrin in der Lennéstraße 1 im Tiergarten, Berlin“ zeigt.

1927 begann Alfred Döblin seinen Roman „Berlin Alexanderplatz“ zu schreiben, in dessen „Achtem Buch“ eine mit der Haupthandlung nur atmosphärisch verbundene Szene in einem Kaffeehaus der Kette spielt: „Bei Dobrin, an der Ecke Kaiser-Wilhelm-Straße, sitzen drei um einen Tisch, ein dicker Kloß, ein lustiger und seine Kleene, son molliges Ding, wenn sie bloß nicht immer so kreischt, wenn sie lacht, und dann noch eener, das ist sein Freund, mit dem ist nichts los, für den zahlt der Dicke, hört bloß zu und muss mitlachen.“

Nur Moritz Dobrin überlebte den Holocaust, seine Frau Helene starb im Konzentrationslager.
Nur Moritz Dobrin überlebte den Holocaust, seine Frau Helene starb im Konzentrationslager.

© Privat

Die Dobrins, die waren zu Weimarer Zeiten schon eine große Nummer im gastronomischen wie auch gesellschaftlichen Leben der Hauptstadt. Sodass es übel aufgenommen und in einem Leserbrief an die „Posener Heimatblätter“ prompt gegeißelt wurde, als der Verband Posener Heimatvereine beim Einsammeln von Spenden für sein Verbandsfest Ende Oktober 1928 im Gartensaal des Zoologischen Garten von Moritz Dobrins Gemahlin Helene abgewiesen wurde, es gebe in Berlin mehr Konditoreien, die deswegen angegangen werden könnten.

Reklametechnisch ein Super-Gau, der beim Winterfest wenige Monate später umgehend ausgeglichen wurde, wie die „Posener Heimatblätter“ zufrieden registrierten: „Sämtliche Kuchen und Torten sowie 500 Brötchen waren eine Spende der Conditorei Dobrin.“

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