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Berlin: „Man lebt ein bisschen im Gestern“

In Frohnau kreist alles Leben um die Plätze, sagt Romanautor Horst Bosetzky. Dies ist sein Kiez

Frohnau, das hat etwas von den amerikanischen Südstaaten. So eine Schläfrigkeit. Man lebt sehr ruhig, und man kennt sich.

Ich bin 1982 hergezogen. Damals war das Leben sehr von der direkten Grenzlage geprägt. Frohnau ragte ja wie ein Keil in die DDR hinein. Alles war hier zu Ende. Die S-Bahn endete an einem Prellbock unter der Frohnauer Brücke, und wenn ich mit meinem Hund spazieren ging, bin ich immer irgendwann auf die Mauer gestoßen.

Heute ist von der latenten Moll-Stimmung der DDR-Zeit nichts mehr zu spüren. Nur eines hat sich nicht geändert: Das Denken in Frohnau kreist um die Plätze. Dort liegen fast alle Geschäfte und Restaurants, und wenn man noch etwas zu besorgen hat oder etwas trinken geht, sagt man: „Ich fahr mal schnell zum Platz.“ Drumherum ist es immer menschenleer – als ob alles Leben von den Plätzen aufgesogen würde. Mein Lieblingsplatz ist der Donnersmarckplatz. Dort steht eine dicke Rotbuche. Da habe ich meinen Kindern immer Klimmzüge vorgeführt – die einzige sportliche Show, mit der ich sie beeindrucken konnte.

Wie in einer Kleinstadt gibt es auch in Frohnau einige Geschäfte, die einfach dazugehören. Die Buchhandlung Haberland am Zeltinger Platz zum Beispiel. Frau Haberland war ein Mythos, eine korpulente, mütterliche Frau. Die Buchhandlung hat sie gleich nach dem Krieg aufgemacht und viel dazu beigetragen, dass es in Frohnau wieder aufwärts ging. Auch das italienische Restaurant Pantalone am Ludolfingerplatz gibt es schon seit eh und je, früher hieß es „Alla Fontana“. Wenn ich dort sitze, überkommt mich immer so ein wohliger Zustand, eine Art abgesenktes Bewusstsein. Und wenn man in Frohnau Fotos entwickelt, dann geht man nicht zu einem Kodak-Laden oder zu Schlecker, sondern zu „Foto Malitzki“. Herr Malitzki schafft es, dass der Einkauf zum Erlebnis wird, so abgedroschen das klingt. Egal, was man kauft, jedes Produkt erklärt er gestenreich und in den buntesten Farben.

Man lebt in Frohnau ein bisschen im Gestern. Viele junge Leute können deshalb nicht schnell genug von hier wegkommen. Aber für mich ist der Kiez ein Refugium. Und wenn ich mal wirklich gar niemanden sehen will, gehe ich im Wald auf dem Ehrenpfortenberg spazieren. Dort liegt auch ein kleiner See, an dessen Ufer ich fast immer allein bin. Da geht mir immer eine Zeile aus einem Song von Louis Armstrong durch den Kopf: „The moon stood still“. Aufgezeichnet von Anne Seith

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