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Berlin: Manfred Kursawa, geb. 1933

Es gab Zeiten, da erhielt er anonyme Anrufe und Morddrohungen. Die Reifen seines Autos wurden zerstochen.

Es gab Zeiten, da erhielt er anonyme Anrufe und Morddrohungen. Die Reifen seines Autos wurden zerstochen. Die Polizei stellte Personenschützer für ihn ab. Und das alles wegen seiner großen Leidenschaft, wegen des Fußballs.

Es begann, als er ein kleiner Junge war. Damals, kurz nach dem Krieg, spielten Manfred und die anderen Jungs im Tempelhofer Ortsteil Mariendorf noch barfuß. Als Jugendlicher kickte er dann für Viktoria 89. Ein gefürchteter Rechtsaußen, schnell und wendig. "Fred Astaire" nannten sie ihn damals, oder auch "Assi", weil er so dünn war wie der echte Astaire. Schwergewichtig wurde er erst später. Eine Knieverletzung beendete die Spielerkarriere, er wurde Schiedsrichter - und als das Knie auch das nicht mehr mitmachte, wurde Manfred Kursawa Fußballfunktionär, ehrenamtlich versteht sich.

Eigentlich wollte er ja Kripobeamter werden, wie sein Vater. Aber seine Frau Christine redete ihm das aus. Sie hatte Angst, dass er wegen der Schichtdienste keine Zeit für sie hätte. Etwa 30 Jahre arbeitete Manfred Kursawa wie seine Frau bei der Bundesversicherungsanstalt BfA. Viel Zeit für seine Frau hatte er aber trotzdem nicht.

Ein Freund hatte ihn mitgenommen zu Blau-Weiß 90, da spielte Manfred Kursawa schon nicht mehr selbst Fußball. Aber er liebte die Geselligkeit und das Vereinsleben. Bei den Mariendorfern war er da genau richtig. Als 1963 der Kassierer des Amateurvereins mit der Kasse durchbrannte, wurde Fredi, wie ihn die Freunde bei Blau-Weiß nannten, Hauptkassierer. Als eines Tages auch der Vorsitzende zurücktrat, übernahm Manfred Kursawa dessen Amt. 26 Jahre machte er diesen Job.

"Mister Blau-Weiß" nannte ihn später einmal der "Kicker". In jenen Jahren war er in Tempelhof so bekannt, dass er kaum über den Markt gehen konnte, ohne von Fans angesprochen zu werden. Die schwerste Zeit als Fußballfunktionär hatte Kursawa in einem anderen Amt.

1970 ging er in den Kontrollausschuss des Deutschen Fußballbundes. Und nach einem Jahr begann das dunkelste Kapitel der Bundesliga. Am 6. Juni 1971 enthüllte der Präsident der gerade aus der Bundesliga abgestiegenen Offenbacher Kickers eine großangelegte Verschwörung. Es ging um Schmiergeld und Schiebung, um gekaufte Spiele und konspirative Treffen korrupter Fußballprofis mit Geldbriefträgern. Der so genannte Bundesligaskandal.

Manfred Kursawa bemühte sich in den folgenden sechs Jahren, an der Seite von Kontrollausschuss-Chef Hans Kindermann um Aufklärung. Gemeinsam offenbarten sie einen Sumpf aus Schiebung und Betrug, an dem zehn von 18 Klubs, darunter auch Hertha BSC, beteiligt waren. Am Ende wurden 52 Spieler und zwei Trainer gesperrt, teilweise lebenslang. Es gab hohe Geldstrafen, Amtsentzug für sechs Funktionäre, Zwangsabstieg für Bielefeld und Offenbach.

Manfred Kursawa flog in jenen Jahren fast jedes Wochenende nach Frankfurt, zu endlosen Sitzungen, Vernehmungen, Besprechungen. Und er zog den Hass enttäuschter Fans auf sich, die im Aufklärer einen Spielverderber sahen. Vor allem Hertha-Fans nahmen es Kursawa persönlich übel, dass fast das gesamte Hertha-Team mit langen Spielsperren bestraft wurde. Anonyme Anrufer drohten Manfred Kursawa an, seinen Kopf "auf dem Rinnstein aufzuschlagen". Einige Male entkam er nur knapp einer Tracht Prügel. Und immer wieder stand sein Wagen mit platten Reifen da. Eine Zeit lang begleiteten zwei zivile Kripobeamte den Funktionär zu öffentlichen Auftritten. Ans Aufgeben dachte Kursawa aber nie. Dafür war er zu pflichtbewusst und wohl auch zu stur.

Seinem Verein Blau-Weiß 90 ging es in jenen Jahren mal besser, mal schlechter. In der Saison 1982/83 überraschte Kursawa die Fußballwelt mit der Ankündigung, Blau-Weiß wolle nun bei den Profis mitspielen. Seine Spieler waren gerade Meister der viertklassigen Landesliga geworden. Zwei Jahre später spielte der Verein tatsächlich in der Zweiten Bundesliga. Aber viele der Finanzspritzen, denen Blau-Weiß die Profi-Verstärkung verdankte, stellten sich später als ungedeckte "Schüttelschecks" heraus. Der Staatsanwalt kam 1985 ins Spiel - und

Blau-Weiß 90 peilte die Erste Bundesliga an. In der Saison 1986/87 stieg der Klub in die höchste Spielklasse auf. Eine Zeit lang lief Kursawas Truppe dem Lokalrivalen Hertha BSC gar den Rang als Nummer 1 in Berlin ab. Und Kursawa wurde zum zweiten Mal Hassobjekt der Hertha-Fans.

Es blieb beim einjährigen Bundesliga-Gastspiel. Kritiker lasteten das auch dem Vorsitzenden an. Amateurhafte Klubführung warfen sie Kursawa vor. "Wir machen halt vieles anders", konterte der. Manfred Kursawa war kein Exzentriker, kein schillernder Paradiesvogel, "eher ein Biedermann", schrieb der "Kicker". "Zurückhaltend und überaus korrekt" nannte ihn die "Fußballwoche". "Ich bin ein typischer Büromensch", sagte er selbst.

1989 wurde Kursawa als Vorsitzender abgewählt. Enttäuscht wandte er sich vom Verein ab. Bedrohlich schnell häuften Kursawas Nachfolger an der Vereinsspitze Schulden in Millionenhöhe an. 1992 verweigerte der DFB dem Klub die Lizenz, im Juni 1992 meldete Blau-Weiß 90 Konkurs an.

Eigentlich hätte er jetzt mehr Zeit für Christine haben können. Oder für sein Hobby, die riesige Modelleisenbahn. Aber es kam anders. Ein Bekannter lud Manfred Kursawa ein, bei der Mitgliederversammlung des Berliner Fußballverbandes vorbeizuschauen. "Aber komm nicht mit einem Amt zurück", gab ihm seine Frau noch mit auf den Weg. Er kam als Vizepräsident heim. Acht Jahre lang blieb er das, kümmerte sich um das Zusammenwachsen von Ost- und West-Ligen und um die Integration ausländischer Klubs.

Ein geselliger Mensch blieb er bis zum Schluss. Regelmäßig trafen seine Frau und er sich mit Freunden aus der Blau-Weiß-Zeit. Um ihn herum musste immer etwas los sein. Deswegen hat seine Frau für sein Grab einen Platz direkt am Hauptweg des Mariendorfer Friedhofs ausgewählt. Und der Fußballplatz ist auch nicht weit entfernt.

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