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Berlin: Margarete Fuhrmann, geb. 1908

Sie war die älteste Tochter. Das hatte damals, als Margarete Fuhrmann aufwuchs, noch wirklich etwas zu bedeuteten.

Sie war die älteste Tochter. Das hatte damals, als Margarete Fuhrmann aufwuchs, noch wirklich etwas zu bedeuteten. Nie ergab sich in ihrem langen Leben eine Verbindung, die enger war als die zur Familie. Bis zum Schluss lebte sie in der elterlichen Wohnung mit ihrer jüngeren Schwester zusammen. Auf die jüngeren Geschwister aufpassen und im Gemüseladen der Eltern aushelfen, das gehörte ganz selbstverständlich zu ihrer Jugend in den zwanziger Jahren in Moabit. Zupacken, wenn Not am Mann war, immer zur Stelle sein, wenn man gebraucht wird, sich selbst zurücknehmen und die eigene Kraft und Energie zur Stütze anderer nutzen, das tat sie ihr Leben lang.

1908 wurde Margarete Fuhrmann in Moabit geboren. Ihre katholischen Eltern waren weltoffen, Kultur und Literatur gehörten zu ihrem Leben. Die Geburten der fünf Kinder lagen weit auseinander. Nach Margarete dauerte es zehn Jahre, bis das nächste Mädchen zur Welt kam. Margarete übernahm zeitweise die Rolle der Mutter. Ein Bruder starb in jungen Jahren, und auch die jüngste Schwester starb früh - nach sechsjähriger schwerer Krankheit mit 30 Jahren.

Obwohl Margarete so sehr in die familiären Pflichten eingebunden war, sorgten die Eltern dafür, dass sie eine Ausbildung erhielt. Sie besuchte die Handelsschule und arbeitete als Sekretärin bei einer Berufsgenossenschaft. Mit 23 Jahren erkrankte sie schwer an Tuberkulose. Fotos aus dieser Zeit zeigen ein dünnes, blasses Wesen mit Ringen unter den Augen. Fast zwei Jahre lang musste sie Kuren machen und wurde tatsächlich geheilt. Über diese Zeit hat sie selten gesprochen.

"Soweit ich sie kannte, war sie nie krank. Keinen einzigen Tag hat sie bei der Arbeit gefehlt", sagt Pater Burkard Runne. Für ihn arbeitet Margarete Fuhrmann in den sechziger und siebziger Jahren als Pfarrsekretärin. Als Pater Burkard 1963 seine erste Stelle als Pfarrer in St. Paulus übernahm, war Margarete Fuhrmann ihm eine große Hilfe. Sie hatte die Finanzen der Gemeinde und des damit verbundenen Dominikanerklosters schon seit Ende der dreißiger Jahre unter ihrer Kontrolle. "Ihre hervorstechendste Eigenschaft", sagt der Dominikanerpater, "war ihre unglaubliche Loyalität. Nie hat sie direkte Kritik geübt. Niemals hat sie mich vor anderen zurechtgewiesen. Allerdings ließ sie es mich auf subtile Art spüren, wenn ihr was nicht passte."

Margarete Fuhrmann war mollig und über 1,70 Meter groß: eine stattliche Erscheinung. Sie war bescheiden aber keine graue Maus. "Die Haare ließ sie sich bis zum Schluss mit der Schere in Welle legen. Dann wurden sie zu einem Dutt hochgesteckt", sagt Pater Burkard. "Was ich an ihr besonders geschätzt habe", sagt Pater Burkard, "war ihre Freundlichkeit im Umgang mit den Leuten. Alle, ob sie wegen einer Beerdigung kamen, wegen einer Taufanmeldung oder wegen einer Trauung, landeten ja erstmal bei ihr. Es war bemerkenswert, mit welcher Herzenswärme sie sich um die Menschen kümmerte. Daran änderte sich auch nichts, als sie mit der Pflege ihrer Mutter sehr beansprucht war."

Die anderen standen im Mittelpunkt ihres Lebens, für sich selbst nahm sie sich wenig Freiheiten heraus. Vielleicht blieb Margarete Fuhrmann auch deshalb ledig. Vielleicht fand sie auch einfach nicht den Richtigen - wie viele andere Frauen ihrer Generation in den Jahren, die der Krieg geprägt hatte, in denen Männer knapp waren. Gelitten hat sie darunter aber nicht. "Jedenfalls", sagt Pater Burkard, "hat sie nie darüber geklagt." Bis zum Schluss lebte sie mit ihrer ebenfalls allein stehenden Schwester in der ehemaligen Wohnung der Eltern. Hier war sie geboren. Hier wollte sie auch sterben.

Als Margarete 1974 in Rente ging, war das zunächst nur ein teilweiser Ausstieg aus dem Berufsleben. Bis 1991 führte sie die Kirchenkasse der Gemeinde. Erst als sie sicher sein konnte, dass jemand Zuverlässiges ihre Nachfolge antreten würde, gab sie die Arbeit auf.

Nur wenige Monate nach ihrem Ausstieg bekam Margarete Fuhrmann plötzlich Lähmungserscheinungen in den Beinen. Sie brach zusammen und musste danach im Rollstuhl sitzen. "Statt sich zurückzuziehen nutzte Margarete Fuhrmann jede Hilfe, um weiterhin am öffentlichen Leben teilzunehmen. Mindestens alle 14 Tage ließ sie sich in die Kirche bringen. Danach ging es ins Lokal zum Mittagessen. Und sie besuchte regelmäßig das KaDeWe, um einzukaufen, oder um einen Bummel zu machen.

Im letzten Frühjahr verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand. Der Bewegungsradius schränkte sich mehr und mehr ein, die Schmerzen wurden unerträglich. Margarete Fuhrmann wurde ins Krankenhaus eingeliefert, aber man konnte nichts mehr für sie tun. Sie wurde nach Hause entlassen. Nun übernahm ihre Schwester, selbst schon über 80 Jahre alt, die anstrengende Pflege. Doch sie hatte sich zu viel vorgenommen. Schließlich mussten beide Frauen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Drei Tage später starb Margarete Fuhrmann.

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