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Berlin: Mark Braun (Geb. 1962)

„Think big“ heißt in Berlin jedoch: „Halt Dich an die Traufhöhe.“

Im Lande Liliput galt Gulliver nicht als großer Mann, sondern als leibhaftige Infragestellung des liliputanischen Zwergenmaßes. Hierzulande ist es nicht viel anders. Wer sich nicht ins verabredete Mittelmaß fügt, wird schnell zurechtgestutzt.

Mark Braun wollte dem immer entgehen, und so zog es ihn direkt nach seinem Architekturstudium nach London. Er packte einfach seinen Koffer, setzte sich in seinen alten Golf, fuhr bei Norman Foster vor – und wurde angenommen.

In der Riege von über 200 Zeichnern und Architekten war es nicht einfach sich durchzusetzen – zumal bei der sehr britischen Arbeitsweise, die nicht selten auf Selbstausbeutung hinausläuft. Aber Mark Braun hatte eine Vision, und die wollte er umsetzen.

Sein erstes Meisterstück: der Umbau des Reichstags, dessen Projektleitung er übernahm. Über zwanzig Millionen Menschen haben die Reichstagskuppel inzwischen besucht – eine Abstimmung mit den Füßen, die besagt: Gute Architektur verlockt.

Nach dem Reichstagsprojekt machte sich Mark Braun selbstständig. Die größte Herausforderung für das junge Architekturbüro: Der Ausbau des Spreedreiecks unmittelbar neben dem Bahnhof Friedrichstraße. Mies van der Rohe hatte einst für dieses Areal einen gläsernen Wolkenkratzer entworfen, Mark Brauns Entwurf war ähnlich lucide und kühn: Ein Glasturm, nach außen zweigeteilt, im Inneren verbunden und von mächtiger Höhe.

„Think big“ heißt in Berlin jedoch: „Halt Dich an die Traufhöhe.“ In endlosen Querelen wurde der Entwurf auf ein liliputanisches Maß heruntergekürzt.

Wer sich wie Mark Braun gern durch die Stadt treiben lässt, sieht viel baulich Misslungenes: die Notunterkünfte der 50er und 60er Jahre, die bauherrlichen Egoismen der 70er und 80er, die Spielereien der Postmoderne. Aber was Mark Braun auf diesen Spaziergängen viel mehr aufrüttelte, war die Zahl der Freiflächen. Keine andere Großstadt der Welt bietet so viel Gestaltungsraum. Warum einem Flughafen nachtrauern, anstatt sich auf die für eine Metropole so gut wie nie eröffnende Perspektive einer riesigen unbebauten urbanen Binnenfläche zu freuen?

Die historische Herausforderung des Schlossplatzes – und dann diese Zaghaftigkeit!

Geschichte lässt sich nicht rekonstruieren. Geschichte wird gemacht. Der Abriss des Palastes der Republik ist Geschichte. Der Neubau des Schlosses hingegen wirkt mutlos. Die wiedervereinigte Republik traut sich keine neue Repräsentanz ihrer Identität zu und zieht wieder ins verschämt modernisierte Schloss ein. Dergleichen Zaghaftigkeiten hasste Mark Braun. Aber er war Realist genug zu wissen, dass die Renditeerwartung der privaten Bauherren und die Knausrigkeit der öffentlichen Hand Mutiges selten zulassen. Dennoch visionierte er eine neue soziale Ordnung des städtischen Raums, generationengerecht, in der die Architektur nicht vereinsamt, sondern zusammenführt.

Und er träumte von seinem eigenen Haus am See mit Steg. Aber zur Ruhe kam er nicht. Sein Sternzeichen war der Widder, das Feuerzeichen des stets Vorausstürmenden.

Der Vorausdenkende, so der Name des Prometheus, auch er ein Himmelsstürmer, dem die Götter seine Talente verübelten, und ihm zur Strafe tagtäglich die Leber abfressen ließen – denn die galt bei den Griechen als Sitz des Temperaments.

Als Mark Braun endlich zum Arzt ging, ergab die Untersuchung, dass der Krebs an der Leber annähernd zwei Kilo Metastasen gebildet hatte. Fassungslos nahm er die Diagnose zur Kenntnis, so plötzlich jeglicher Perspektive beraubt.

Acht Stunden währte die Operation. Als er in der Genesungsphase langsam wieder Lebensmut gefasst hatte, kam der finale Kommentar: „Mit Chemo noch ein Jahr, ohne Chemo acht Monate.“

In diesem Land werden die Besten nicht immer gut behandelt. Gregor Eisenhauer

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