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Wieder auf der Sonnenseite. Pflegeeltern sorgen für Kinder, die aus der Herkunftsfamilie herausgenommen wurden.

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Mehr Geld, bessere Organisation: Was sich für Pflegefamilien in Berlin verändert

Berlins Familiensenatorin erarbeitet mit Fachleuten aus der Praxis eine Reform. Denn immer mehr Kinder können nicht bei leiblichen Eltern aufwachsen, und die Zahl aufnahmebereiter Pflegeeltern sinkt.

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Immer weniger Berliner sind bereit, Kinder großzuziehen, die nicht ihre leiblichen sind. Wegen bürokratischer und finanzieller Hürden sinke die Zahl der Pflegefamilien seit Jahren, obwohl Berlin mit zuletzt knapp 3000 Fällen jährlich zugleich die bundesweit höchste Zahl von Inobhutnahmen verzeichne, sagt Berlins Familien- und Jugendsenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU).

Aktuell seien selbst Säuglinge und Kleinkinder in Berlin nur schwer zu vermitteln – etwa dann, „wenn das Kind nicht gleich einen Kitaplatz mitbringt“, sagt Günther-Wünsch. Daher will die Senatorin jetzt mit einer neuen Initiative, Experten aus der Praxis und einem externen Beirat das Pflegeelternwesen in Berlin völlig überarbeiten.

In Berlin hatten Ende 2022 nur noch rund 2000 Pflegekinder bei 1800 Familien oder Alleinerziehenden ein neues Zuhause auf Zeit oder auf Dauer, 2017 waren es noch mehr als 2300 Kinder bei fast 2000 Familien (siehe Grafik). Hunderte Kinder verbleiben in den für den Staat viel teureren Wohngruppen freier Träger, statt in einer Pflegefamilie aufwachsen zu können.

Pflegefamilien müssen immer mit vielen Partnern wie Jugendamt, Pflegekinderdienst, Vormund, Herkunftsfamilie, Familienberatungsstelle, Gutachter, Pädagogen oder Psychologen kooperieren. Die neue Projektstruktur mit mehreren Arbeitsgruppen in der Senatsverwaltung nimmt jetzt auch die Unterstützungssysteme um Pflegefamilien herum unter die Lupe. Hier hatte zuletzt eine Studie in Berlin Defizite und Hürden ausgemacht.

Jugendämter nehmen Kinder meist dann aus einer Familie, wenn leibliche Eltern sie vernachlässigen oder sogar missbrauchen, etwa wenn sie drogenabhängig, alkoholsüchtig oder psychisch krank sind. Es gibt aber auch andere Gründe für die Unterbringung bei Pflegeeltern, etwa bei unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, weil die leiblichen Eltern nicht in Deutschland leben.

Die leiblichen Eltern müssen aber grundsätzlich der Unterbringung bei Pflegeeltern zustimmen und haben in der Regel auch ein Umgangsrecht. Wenn die Kinder dann in der Ersatzfamilie angekommen sind, sei eine besondere Bindungsarbeit für den Beziehungsaufbau erforderlich, sagt die Jugend- und Familiensenatorin, die selbst Pflegemutter ist.

Nach Auskunft der Senatsverwaltung gibt es die meisten Pflegefamilien in Bezirken wie Steglitz-Zehlendorf, Tempelhof-Schöneberg oder Treptow-Köpenick. Andersherum gibt es Bezirke, in denen mehr leibliche Eltern von Pflegekindern leben, das habe mit der Sozialstruktur der Berliner Bezirke zu tun.

In Berlin ist es im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern laut Katharina Günther-Wünsch so, dass das Jugendamt des Wohnbezirks der Herkunftseltern zuständig ist. „Und wir haben Pflegefamilien mit drei unterschiedlichen Jugendämtern und drei Pflegekinderdiensten“, sagt die Familiensenatorin. Dies sei für Pflegeeltern und -kinder belastend, weil sie immer wieder in Hilfekonferenzen vor mehreren fremden Erwachsenen ihre Lebensgeschichten, Fortschritte oder Defizite für eine Verlängerung der ambulanten Hilfe darlegen müssten.

Bald Jugendamt am Wohnort der Pflegefamilie zuständig

Um Abhilfe zu schaffen, soll nun künftig ausschließlich das Jugendamt des Bezirks zuständig sein, in dem das Pflegekind mit seiner Pflegefamilie lebt. Dadurch soll „eine dauerhafte Kontinuität der Bearbeiter möglich sein. Alle können gemeinsam wachsen. Das stabilisiert ungemein“, sagt Günther-Wünsch. Es müsse dann finanzielle Ausgleiche zwischen den Bezirken geben.

Beispielsweise dann, wenn sie in ihrem Beruf Stunden reduzieren, sehen sich Pflegeeltern nach Erfahrungen von Selbsthilfe- und Beratungsgruppen in den Bezirken oft dem Vorurteil ausgesetzt, dass sie ein Kind womöglich wegen des Pflegegeldes aufgenommen haben. Dieses gibt es etwa als Ausgleich für Erziehungsleistungen und Ausgaben für sämtliche Lebenshaltungskosten, dazu zählt auch alles, was die Schule betrifft.

Dazu sagt die Familiensenatorin: „Wenn Sie ein Kind, egal wie alt, mit einer Vorgeschichte und einem seelischen Päckchen bei sich aufnehmen, brauchen Sie viel Zeit und Energie. Dann gehen Sie nicht weiter 40 Stunden arbeiten oder geben es nicht acht oder zehn Stunden in Kita oder Schule. Da müssen wir die finanziellen Voraussetzungen schaffen, damit Eltern in der Erwerbstätigkeit zurücktreten oder in besonderen Fällen ganz Zuhause bleiben können.“

Wie berichtet, bekommen Pflegeeltern in Berlin im Bundesvergleich die mit Abstand geringsten Pflegegelder. Katharina Günther-Wünsch will diese ab dem dritten Quartal 2024 in nächsten Jahren schrittweise anpassen, dafür wurden für 2024/25 als Gesamtsumme bereits acht Millionen Euro eingestellt, das entspricht einer Erhöhung um zwei Millionen im Jahr 2024.

Bislang gibt es für Pflegeeltern kein Elterngeld. Damit auch Säuglinge früher in einer Familie aufgefangen und gefördert werden können, will die Senatorin einen Weg finden, elterngeldähnliche Leistungen zu zahlen, sodass Pflegeväter und -mütter ebenso wie leibliche und Adoptiv-Eltern an dieser Stelle unterstützt werden.

Ob das aus Mitteln des Landes oder anderen Töpfen kommen wird, lässt sie gerade prüfen. Katharina Günther-Wünsch sagt: „Pflegekinder sind keine Kinder zweiter Klasse, das müssen wir deutlich klarmachen.“ Kindergeld gibt es bereits, dieses wird mit den Pflegegeldern verrechnet.

Ein System aufzubauen, in dem wir besser unterstützen können, ist mir wichtig“

Katharina Günther-Wünsch, Jugendsenatorin

Über die geplanten Verbesserungen, die die Unterstützungssysteme der Pflegeeltern betreffen, sagt Günther-Wünsch: „Ob Supervision, Babysitter, Nachhilfe, Logopädie, Trauma- oder Ergotherapie: Da ein System aufzubauen, in dem wir besser vernetzen und unterstützen können, ist mir wichtig, weil der aktuelle Zustand von vielen als belastend empfunden wird.“

So solle in die neue Ausführungsvorschrift Hilfeplanung aufgenommen werden, dass auch Pflegeeltern zusätzliche Hilfen bekommen dürfen wie Familienhelfer, Supervision oder eine spezielle Diagnostik.

Für Pflegeeltern sei es wichtig, auch mal Luft zu holen und neue Kräfte tanken zu können, hierfür sollen Angebote unterstützt werden. Auch die Struktur des höchst unterschiedlichen Pflegekinderdienstwesens in den Bezirken solle überprüft werden. Die Altersrichtlinien für Pflegeeltern würden bereits flexibler gehandhabt und seien nach oben korrigiert worden. Wie in der Jugendberufshilfe könnten auch Hilfekonferenzen für Über-18-Jährige künftig statt halbjährlich möglicherweise seltener stattfinden.

„Wir wollen Pflegefamilien und -kindern Mut machen, noch mehr Unterstützung einzufordern, das ist eine Stärke und keine Schwäche“, sagt die Senatorin. Sie hoffe, dass künftig auch Kinder mit Migrationshintergrund mehr Chancen haben, in Berlin in einer Pflegefamilie ein neues, stabilisierendes, fürsorgliches und förderndes Zuhause zu finden.

Es sei eine „besondere und wichtige gesellschaftliche Aufgabe, die Berliner Pflegeeltern erfüllen“, sagt Günther-Wünsch.

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