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Das bisschen Haushalt. Bruno Suhr lässt sich zum „Assistenten für Ernährung und Versorgung“ beim Lette Verein Berlin ausbilden.

© Helge von Giese

Ausbildungsberuf mit Nachwuchsproblem: Mehr Männer sollen Hauswirtschafter werden

Millionen Frauen waren einst Hauswirtschafterinnen. Der Ausbildungsberuf hat heute ein Imageproblem. Männer sollen das ändern.

Er hat einen ähnlichen Stellenwert wie der Pflegeberuf, doch nur wenige kennen ihn, wenige verstehen ihn: Es ist der Beruf des Hauswirtschafters. Oder konkreter: der Hauswirtschafterin.

Denn der Männeranteil ist verschwindend gering. Die Aufwertung des Berufes und seine bessere Finanzierbarkeit werden ein Thema in den nächsten Runden zur Pflegereform. Im August 2020 ist eine neue Ausbildungsverordnung erlassen worden. Es tut sich etwas im Bereich der Hauswirtschaft. Was kann der Beruf? Sind das Hilfskräfte, die Senioren beim Einkauf unterstützen und saubermachen? Die Hauswirtschaft ist viel mehr.

In wenigen Wochen macht Bruno Suhr beim Lette Verein Berlin seinen Abschluss als „Assistent für Ernährung und Versorgung“. Das ist ein Pendant zur Hauswirtschaftsausbildung. Auch die Emil-Fischer-Schule, ein Oberstufenzentrum in Wittenau, bietet diesen Ausbildungsberuf an.

„Als ich meinen Freunden von meinen Plänen berichtet habe, fragten sie mich, ob ich dann putze, koche und die Wäsche mache“, erzählt der 19-Jährige. Hauswirtschaft, das verkannte Mauerblümchen. Bis in die 1960er Jahre war die Ausbildung eine Landmarke im weiblichen Lebenslauf.

Junge Frauen erlernten den Beruf an einer Fachschule oder gingen in einem Betrieb „in Stellung“. Die Ausbildung galt als Entrée ins Eheleben. Es ging um Haushaltsführung.

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Der Lette Verein Berlin hat sich seit seiner Gründung 1866 um die Professionalisierung von sogenannten Frauenberufen verdient gemacht. Mehr als 150 Jahre später haftet der Care-Arbeit immer noch der Mief schlecht bezahlter „Frauenarbeit“ an. Das Einstiegsgehalt eines Hauswirtschafters liegt bei 1500 bis 2200 Euro brutto im Monat.

Der Fachabiturient Bruno Suhr ist einer der wenigen Männer, der diese Ausbildung macht

Warum hat sich ein Fachabiturient wie Bruno Suhr für eine hauswirtschaftliche Ausbildung entschieden? Er sagt, ihn habe die Vielseitigkeit angesprochen. Seine Eltern betreiben eine Praxis für Physiotherapie. Unternehmerisches Handeln und den Alltag unter einen Hut zu bringen, damit ist Bruno aufgewachsen.

„Mit 16 fiel mir auf, dass ich noch nie eine Spülmaschine ausgeräumt hatte. Ich war Leistungssportler. Es gab für mich nur Training und Schule. Ich wollte lernen, was ich aufgrund persönlicher Gründe nicht geschafft habe.“

Seit 2013 gehen auch die Zahlen bei den Frauen zurück

Bruno Suhr hat während seiner Ausbildung seine Leidenschaft für Wirtschaftskunde und Ernährungslehre entdeckt. Im Herbst beginnt er ein duales Studium BWL-Einzelhandel bei Edeka.

Die Emil-Fischer-Schule und der Lette Verein Berlin bieten die dreijährige Ausbildung im schulischen Unterricht mit Betriebspraktikum an. Doch in welchen Betrieben kann man eine Lehre auf dualem Wege machen?

Seit 2017 hat laut Statistik des Bundesinstituts für Berufsausbildung kein einziger Mann in Berlin die duale Ausbildung zum Hauswirtschafter absolviert. Seit 2013 gehen auch bei den Frauen die Zahlen zurück. 2018 und 2019 schlossen sechs Hauswirtschafterinnen ab. In den 1990er und 2000er Jahren gab es im Schnitt 50 Absolventen und Absolventinnen, die Abgänger der schulischen Ausbildung nicht mitgezählt.

Betriebe versuchen, die Azubis schon während der Ausbildung abzuwerben

Auch wenn Bruno Suhr ein Exot der Branche ist, seine Haltung zum Beruf macht Hoffnung. Die Aufstiegschancen sind hervorragend und das Berufsbild vielfältig. Immer wieder habe nach eigener Auskunft der Lette Verein damit zu tun, dass Betriebe versuchen, die Azubis schon während der Ausbildung abzuwerben.

Hauswirtschafter arbeiten in Großküchen, Hotels, in Einrichtungen des kulturellen und politischen Lebens. Der Privathaushalt, nicht nur der repräsentative, rückt verstärkt in den Fokus. Immer mehr Seniorinnen und Senioren brauchen immer länger hauswirtschaftliche Begleitung, auch um die Pflegeberufe zu entlasten. 2020 brachte der Deutsche Hauswirtschaftsrat subventionierte Gutscheine von haushaltsnahen Dienstleistungen für berufstätige Eltern mit Kindern ins Gespräch.

Hauswirtschafter treten auch als "Hausdame" oder "Housekeeping Manager" in Erscheinung

Hauswirtschafter können für bis zu 100 Personen kochen. Sie verstehen sich auf die Lagerung von Lebensmitteln. Sie wissen um die olfaktorischen und visuellen Botschaften des Eingangsbereichs und was das mit Marketing zu tun hat.

Sie managen Teams mit ungelernten Hilfskräften und den sogenannten Fachpraktikern Hauswirtschaft. Das ist das theoriereduzierte Berufsbild, das beispielsweise an der Konrad-Zuse-Schule in Niederschönhausen gelehrt wird.

Das Bild stammt aus einem1912 erschienenen Band und zeigt Teilnehmerinnen eines dreimonatigen Koch-und Backkurses dieser 1866 gegründeten Hauswirtschaftsschule. Links am Herd steht die damalige Kochlehrerin und Autorin Elise Hannemann.

© Lette Verein Berlin/Archiv

Ausbilder dieser Fachpraktiker müssen neben einer Hauswirtschaftslehre eine sonderpädagogische Zusatzausbildung haben. Hauswirtschafter treten als „Hausdame“ oder „Housekeeping Manager“ in Hotels in Erscheinung.

In Schulen oder Kindestagesstätten wissen sie, was zu tun ist, wenn ein Infektionsgeschehen auftritt. Sie tragen Sorge dafür, dass punktuell die Reinigungsintervalle erhöht werden und beherrschen die Klaviatur der Desinfektionsmittel.

Sie handeln planvoll und nehmen den Stress aus multiprofessionellen Teams. Sie organisieren Feste. Hauswirtschafter sorgen für unser Wohlbefinden, unsere Sicherheit und Gesundheit.

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Warum also wollen so wenige Menschen den Beruf erlernen? Warum kennen ihn so wenige?

Der Berliner Senat steuert seit September 2015 gegen. Unter der Regie von Senatorin Dilek Kalayci (SPD), initiierte man in der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales das Modellprojekt „Hauswirtschaft ... immer wieder neu!“. 2016 hatte Die Linke unter Federführung von Senatorin Elke Breitenbach das Ressort und somit die Verantwortung für das Projekt übernommen. Zielgruppen sind Schüler, Lehrer, Eltern und Betriebe, um den Beruf bekannter zu machen und Praktikums- und Ausbildungsplätze zu vermitteln.

Innerhalb von fünf Jahren wurden laut Senat 148 Praktikums- und 52 Ausbildungsanfragen vermittelt

Karin Rietz vom Pressereferat der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales sagt, dass in fünf Jahren 148 Praktikums- und 52 Ausbildungsanfragen vermittelt worden seien. Das Projekt kooperiere mit 75 Betrieben und 43 Schulen. Die Frage, wie hoch das Budget für diese Maßnahme sei, blieb unbeantwortet.

Die Werbeagentur, die „Hauswirtschaft ... immer wieder neu!“ verantwortet, teilt mit, wie erfolgreich die Kampagne war. Weniger gut lief es für sie hingegen, als im Sommer 2020 ein Social-Media-Post viral ging. Das Motiv: Ein Mann mit Gitarre. Daneben der Slogan: „Ich werde Hauswirtschafter ... weil hier die Gage stimmt.“ Die Organisation „art but fair“, die sich für faire Künstlergagen einsetzt, reagierte mit einem offenen Brief an die Senatsverwaltung.

Die Kampagnen zum Berufsbild sind das eine, das andere ist der Grauschleier, der über den tatsächlich zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätzen im dualen System liegt.

Ausbilden können nur Hauswirtschafter, die eine Fachschule besucht haben

Vollstationäre Pflegeeinrichtungen bekommen Auszubildende der Hauswirtschaft nicht refinanziert. Es sei ein typisches Problem in einer vom Kostendruck bedrängten Branche, heißt es.

Die Sicherstellung von Fachpersonal, das selbst ausbilden kann, ist offenbar eine weitere Großbaustelle des Berufs. „Ausbilden können nur Hauswirtschafter, die eine Fachschule besucht haben“, erläutert Sigried Boldajipour, Präsidentin des Deutschen Hauswirtschaftsrats. „Und da es zu wenige Bewerber gibt, gibt es auch immer weniger Fachschulstandorte.“

Wer wird uns morgen versorgen? Die Antwort darauf wird die Politik finden müssen – und zwar nicht erst, wenn es zu spät ist.

Helge von Giese

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