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Sprechstunde: In manchen Berliner Bezirken hat man es schwerer, einen Termin beim Arzt zu bekommen, als in anderen. Denn die Mediziner sind sehr unterschiedlich über die Stadt verteilt.

© dpa

Ärzte in Berlin: Mehr Mediziner in arme Kieze

Erstmals werden Arztpraxen in Berlin auch nach Sozialkriterien verteilt. Damit ist die Hauptstadt das einzige Bundesland, in dem etwa die Erwerbslosenquote, der Bildungsgrad, das Alter und die Vorerkrankungen der Bewohner eine Rolle dafür spielen, ob sich dort ein Arzt niederlassen darf.

Für diejenigen, die wochenlang auf einen Arzttermin warten oder dafür durch die ganze Stadt fahren, dürfte das eine gute Nachricht sein: Nach zähen Verhandlungen haben sich Kassenärzte, Krankenkassen und Gesundheitssenator auf neue Richtlinien bei der Zulassung von Arztsitzen geeinigt. Praxen sollen besser verteilt werden, und nur noch dort neu eröffnen dürfen, wo sie wegen der Not der Bewohner gebraucht werden. Zunächst gilt dies in engerer Form für die Haus- und Kinderärzte. Senator Mario Czaja (CDU) sagte am Mittwoch: „Wir wollen eine gerechtere Verteilung“. Dazu werden Sozialkriterien herangezogen. Czaja ließ für jeden Bezirk errechnen, wie viele Ärzte fehlen, wenn man etwa Alter, Einkommen, Bildung und Vorerkrankungen berücksichtigt.

Fast viermal mehr Frauenärzte in Charlottenburg als in Neukölln

Hintergrund der Neuregelung ist die ungleiche Praxendichte in Berlin: Ärzte lassen sich im Osten der Stadt und in Neukölln weniger gern nieder als im Westen. In Charlottenburg gibt es fast viermal so viele Frauenärzte pro Einwohner wie in Neukölln. Weil die Kassenärztliche Vereinigung (KV) zur Neuregelung rechtlich nicht hatte gezwungen werden können, gilt die Einigung als Erfolg.

Die Dichte an Arztpraxen - insbesondere Spezialisten wie Gynäkologen - ist je nach Bezirk verschieden.
Die Dichte an Arztpraxen - insbesondere Spezialisten wie Gynäkologen - ist je nach Bezirk verschieden.

© Tagesspiegel

Statistisch gesehen gibt es in Berlin ausreichend Ärzte. Mehr als 8000 niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten arbeiten in der Stadt, ein Hausarzt kommt auf 1671 Bewohner – im Bundesvergleich ein Spitzenwert. Doch im Einzelfall nützt das kaum, beispielsweise wenig mobilen Rentnern im abgelegenen Köpenicker Süden. Und so hatte die KV, der als öffentlich-rechtlicher Organisation alle niedergelassenen Mediziner angehören, wenn sie gesetzlich Versicherte versorgen, zu Jahresanfang deutlich gemacht: Man könne darüber reden, Praxen anzusiedeln, wo mehr Alte und Kranke wohnen – ohne Berlin auf seine Bezirke herunterzubrechen. Denn die Stadt gilt der entsprechenden Bundesverordnung zufolge als ein Versorgungsgebiet, was so bleibt. Es wird innerhalb dieses formal einheitlichen Gebietes justiert.

Ärzte dürfen nur noch "bergab" umziehen

Der KV-Vize-Chef Uwe Kraffel, die Vertreterin der Kassen, Gabriela Leyh, und Czaja einigten sich darauf, dass der Zulassungsausschuss von KV und Kassen verbindlich dafür sorgt, dass Praxisärzte „nur noch bergab“ umziehen dürfen. Wer mit seiner Praxis aus einem Bezirk in einen anderen ziehen möchte, kann dies also nur tun, wenn der neue Bezirk nach Arztdichte schlechter gestellt ist, als der Bezirk, in dem der Mediziner bereits residiert: Wer in Tempelhof eine Praxis hat und näher ins Zentrum möchte, bekommt keine Erlaubnis, sich in Charlottenburg niederzulassen, weil der Kiez besser versorgt ist. Aber er kann nach Pankow ziehen – oder nach Neukölln. Für für die Haus- und Kinderärzte wird bei Umzugabsichten nicht nur auf die Praxendichte an sich geschaut, sondern auch nach der Sozialstruktur in dem jeweiligen Bezirk. Derzeit ziehen bis zu 80 Ärzte im Jahr um. Es sei nicht absehbar, hieß es am Mittwoch, wie viele künftig in ihrem Stammbezirk blieben, weil sie nicht mehr in eine sozial stärkere Gegend dürfen. Man sei aber guter Dinge, sagte KV-Vorstand Kraffel, die Kriterien würden zudem schon eine Weile angewandt. Hinzu kommt, dass demnächst viele Praxisärzte das Rentenalter erreichen.

Patientenbeauftragte von Berlin: Stimmrecht fehlte

Für Martina Luther von den Bürgerplattformen Neukölln und Treptow-Köpenick ist die Regelung „ein richtiger Schritt“. Die Plattformen setzen sich seit langem für eine Neuverteilung ein. Die Patientenbeauftragte Karin Stötzner sagte, sie begrüße zwar die Sozialindikatoren. Doch die gemeinsame Absichtserklärung sei nicht ausreichend, Faktoren wie die Praxisauslastung würden nicht berücksichtigt. Ärgerlich sei auch, dass die Patientenvertretung in dem Gremium, in dem die Vereinbarung entstanden ist, kein Stimmrecht hat. Czaja räumte ein, er sei während der Verhandlungen „oft ungeduldig“ gewesen, der Kompromiss sei aber gut.

Ärzte könnten gegen Sozialregelung klagen

Man prüfe den Effekt, und werde womöglich bald auch Fachärzte nach Sozialkriterien verteilen. Lasse sich bis 2015 keine Verbesserung erkennen, würden für Haus- und Kinderärzte feste Zulassungen pro Bezirk eingeführt werden. Dann wären Umzüge nur innerhalb eines Bezirkes möglich.

Ein Problem könnten Klagen werden, schließlich ist die Anwendung von Sozialindikatoren bundesweit neu. Immer wieder hatten Ärzte gegen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit geklagt.

Einen Kommentar dazu lesen Sie hier.

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