Berlin: Mehr Selbstwertgefühl, neue Chancen und Gemütlichkeit
Jetzt läuft die Weihnachtsaktion des Tagesspiegels wieder an. Die Spenden des vorigen Jahres halfen vielen – eine Bilanz
MITTAGSTISCH IN DER KIRCHE
Lydia Schmuck von der evangelischen Gemeinde Neutempelhof hat für den wöchentlichen Mittagstisch für Obdachlose stets günstig und trotzdem vitaminreich eingekauft; rund 60 Euro gibt sie jede Woche dafür aus. Deshalb ist von den 4000 Euro Spenden auch noch etwas übrig, obwohl sie jeden Montag Essen für 30 bis 40 Obdachlose und andere Bedürftige gekocht hat. Lydia Schmuck und ihre Helferinnen können also auch weiterhin den Mittagstisch für ihre „Stammgäste“ decken: mit frischem Gemüse, Nachtisch, Kaffee und Tee. Einige Leser haben Kleidung und Haushaltsbedarf gespendet.
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EIN HAUS FÜR OBDACHLOSE
Die Ärztin Jenny De la Torre hatte Großes vor: Aus einem leeren Wohnhaus in Mitte, das ihr das Bezirksamt mietfrei überlassen hat, wollte die gebürtige Peruanerin ein Zentrum für Obdachlose bauen – mit Arztpraxis, Kleiderkammer, Suppenküche samt soziologischer, psychologischer und juristischer Beratung. Mit Hilfe der gespendeten 10 000 Euro konnte sie ihren Plan in die Tat umsetzen: Zwei von drei Etagen sind fertig. Fliesen wurden gelegt, sanitäre Anlagen installiert und Türen eingebaut. „Jetzt sind wir in der Endphase des Umbaus“, sagt Jenny De la Torre. Im Frühjahr sollen die ersten Obdachlosen betreut werden. Dann kann die Ärztin wie geplant dafür sorgen, dass „jeder eine Chance bekommt“, so will sie beispielsweise auch bei der Wohnungssuche helfen. Schon seit mehr als zehn Jahren engagiert sich die Ärztin für Obdachlose in Berlin.
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RETTUNG AUS DER ZWANGSEHE
Der Beratungsverein Interkulturelle Initiative hilft gewaltbetroffenen Migrantinnen und ihren Kindern – in einem kleinen Frauenhaus und in zehn Zufluchtswohnungen. Viele sind aus der Zwangsehe geflohen. 15.431,20 Euro wurden etwa für die Miete der Kursräume sowie Lehrmaterial verwendet: So hatten die Migrantinnen die Chance, Deutsch und das Handling von Computern zu lernen. Bewerbungs- und Integrationstraining rundeten die Ausbildung ab. Damit auch ihre Kinder zu einem normalen Leben außerhalb des Frauenhauses zurückfinden, wurde für die Kleinen eine pädagogische Reise auf einen Bauernhof organisiert. Trotz all dieser Ausgaben hat die Interkulturelle Initiative erst etwa die Hälfte des Geldes ausgegeben. Mit der anderen Hälfte soll bis Ende 2006 die Miete für die Kursräume gezahlt werden .
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BERLINER FRÜHSTÜCKSTAFEL
Viele Eltern geben ihren Kindern kein Pausenbrot mit in die Schule. Damit das Lernen mit leerem Magen nicht zur Qual wird, rief die Berliner Tafel das Projekt „Frühstückspäckchen“ ins Leben. „Wir wollen die Eltern aber nicht aus der Pflicht nehmen“, sagt Sabine Werth von der Berliner Tafel. Nur einmal pro Woche wurden deshalb etwa 600 Beutel mit Äpfeln, Vollkornstullen und Getränken an bedürftige Kinder in acht Schulen verteilt, 20 Cent mussten die Kinder für eine Tüte bezahlen. 5000 Euro gab es vom Tagesspiegel dazu. Von dem Geld wurden auch Benzin, Reparatur und Wartung für den „Stullenlieferwagen“ bezahlt.
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RÄDER FÜR MISSHANDELTE KINDER
Kinder brauchen Bewegung, vor allem wenn sie aus schwierigen sozialen Verhältnissen kommen und nicht viele Möglichkeiten haben, sich sportlich zu betätigen. Acht stabile Fahrräder für 2000 Euro konnte das Kinderschutzzentrum dank der Spenden anschaffen. Die Kinder, die im Zentrum vorübergehend Zuflucht finden, sind oft noch nicht so weit wie ihre Altersgenossen – vor allem motorisch. Durch das Fahrradfahren wird ihre Koordinationsfähigkeit gefördert. Zwölf Tagesspiegel-Leser waren von der Idee so begeistert, dass sie zusätzlich gebrauchte Fahrräder vorbeibrachten. Diese durften einige Kinder mitnehmen, als sie aus der Wohngruppe zu Pflegefamilien oder wieder zu ihren Eltern zogen. „Das hat ihnen in psychologischer Hinsicht sehr geholfen, denn das Fahrrad wird in diesem Fall zu einer Übergangsstütze“, sagt Elke Nowotny vom Kinderschutzzentrum.
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EINE ZUFLUCHT FÜR FRAUEN
Die Steigerung ihres Selbstwertgefühls ist sehr wichtig für misshandelte Frauen, die aus ihrem Zuhause geflüchtet sind. Dass das gelang, merke man den Bewohnerinnen einer der Zufluchtswohnungen des Vereins ZUFF an, seit ihre Küche renoviert wurde, sagt Ulrike Legner-Bundschuh. „Frauen in einer solchen Situation müssen sich wohl fühlen.“ Doch die alte Küche sei wackelig, zusammengestückelt und unappetitlich gewesen. 5000 Euro spendeten die Tagesspiegel-Leser für die Renovierung: Nun haben die Frauen einen Treffpunkt in ihrer Wohnung: Dort können sie kochen und ihre Sorgen besprechen. Als Erstes haben sie sich mit einem opulenten Mahl bei Ulrike Legner-Bundschuh und den anderen Mitarbeitern für ihr Engagement bedankt: Jede der Frauen – viele von ihnen sind Migrantinnen – bereitete eine Spezialität aus ihrer Heimat zu. Installiert wurde die neue Küche gegen eine „Nachbarschaftspauschale“ vom Projekt „Palotti-Mobil – Renovierung für Frauen aus Gewaltsituationen“ der Kirchengemeinde St. Christophorus. Langzeitarbeitslose finden wieder eine Aufgabe.
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CONTAINER ALS HEIMSTÄTTE
Mehr Licht, ein bequemes Sofa, bunte Bilder, Grünpflanzen und gemütliche Trainingsanzüge – in der Krisenwohnung für Drogenabhängige in einem Container in Charlottenburg herrscht jetzt eine behagliche Atmosphäre. Von den 3400 Euro ließ der Notdienst für Suchtmittelgefährdete und Abhängige zusätzliche elektrische Leitungen verlegen und verschönerte den gerade renovierten Container, der vorher sehr kahl wirkte. So wurde er für die obdachlosen Drogenabhängigen, die dort übernachten und ihre Wäsche waschen können, zu einem wirklichen Zufluchtsort nach einem harten Tag auf den Straßen der Stadt.
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BUS GEGEN EINSAMKEIT
Zu einer Adventslichter-Jungfernfahrt wird bald der neue „Bus gegen Einsamkeit“ des Diakonischen Werks in Reinickendorf aufbrechen. Elf Jahre lang brachte das Vorgänger-Modell ältere und behinderte Menschen, die ihre vier Wände sonst nur mit großen Schwierigkeiten verlassen können, zu Festen, Verabredungen oder ihrem Stammtisch. Doch der alte Wagen war so verrostet, dass er nicht mehr repariert werden konnte. Der neue Bus – ein Peugeot Boxer – wurde eigens umgerüstet und mit Rampe, Handgriffen und ausbaubaren Einzelsitzen ausgestattet. 28 500 Euro hat das Diakonische Werk für das neue Gefährt ausgegeben, davon 15 500 Euro Spenden von Tagesspiegel-Lesern.
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SOZIALHILFE-BERATUNG GERETTET
„Ohne die Spenden hätten wir unsere Arbeit nicht fortführen können“, sagt Jürgen Gosch von der Rechtsambulanz Sozialhilfe. Aus den Räumen bei der Caritas musste der Verein ausziehen, dank der Spenden konnten die Ehrenamtlichen im März ein neues Büro beziehen: Für Miete, Renovierung, eine neue Telefonanlage, einen Computer, Möbel und Büromaterial haben sie das Geld ausgegeben. Außerdem konnte die Rechtsambulanz einen Internetauftritt finanzieren. Wichtig war auch die Anschaffung von Fachliteratur, denn zum Sozialhilferecht und zu Hartz IV gibt es viele neue Gesetzestexte. Da mehr Platz ist, können die ehrenamtlich arbeitenden Rechtsanwälte nun doppelt so viele Klienten beraten. Mehr als 300 Menschen haben sie in diesem Jahr schon juristisch geholfen.
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HEIZUNG UND NOTENSTÄNDER
Auch den Verein der Eltern behinderter Kinder gäbe es ohne die Spendenaktion wahrscheinlich heute nicht mehr, sagt Vorstandsmitglied Rosemarie Skibinski. 3000 Euro kamen für den Verein zusammen, der dafür sorgt, dass Schwerbehinderte ein erfülltes Leben führen können und gemeinsam ihre Stärken entdecken: beim Basteln, Werken, Backen und Musizieren. Von dem Geld konnten die Miete sowie Öl und Wartung für die Heizung bezahlt werde. Der Rest reichte noch für vier dringend notwendige sichere Feuerlöscher und einen Notenständer.
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KIEZKÜCHE STATT ESSENSAUSGABE
Aus einer einfachen Essenausgabe für Obdachlose, in der nicht gekocht, sondern nur aufgewärmt werden konnte, sollte ein Kiezrestaurant mit Küche werden: 12000 Euro spendeten die Leser für die Renovieungsarbeiten in einer ehemaligen Tischlerei an der Prenzlauer Straße – dort sind auch die Redaktion des „Straßenfegers“ und eine Notunterkuft untergebracht. Träger ist der Verein Mob e. V. Dank vieler fleißiger Helfer – die meisten von ihnen arbeiteten unentgeltlich – ist der Umbau jetzt fast abgeschlossen: Aus einem Innenhof wurde ein Speisesaal, behindertengerechte Toiletten wurden eingebaut, elektrische Anschlüsse und 120 Quadratmeter Fliesen gelegt. In der Küche stehen schon Gasherd, Edelstahlmöbel und ein Warmhaltebecken. „Die empfindlichen, wertvollen Küchengeräte wollten wir aber nicht auf der Baustelle herumstehen lassen", sagt Lothar Markwardt vom Vereinsvorstand. Der ein Meter lange Kippbräter für Gulasch und ein 100-Liter-Topf für insgesamt 3000 Euro werden deshalb erst dann angeschafft, wenn allles fertig ist: Markwart hofft, Ende Januar das erste Mal zu kochen.
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ERSTE HILFE FÜR AFGHANISTAN
Wassertank, Patiententragen, Verbandsschränke: Auch die Einrichtung von Sanitätsräumen an Schulen in der afghanischen Provinz Kabul wurde von unseren Lesern mit 10 000 Euro unterstützt. Viele der Schulen sind noch zerstört, die hygienischen Bedingungen wurden durch Renovierungsarbeiten verbessert. Die neuen Sanitätsräume sind Teil der Auslandsprojekte der Johanniter Unfallhilfe: An 118 Schulen in Kabul wurden vor allem Lehrerinnen und Schülerinnen, die während des Talibanregimes nie die Gelegenheit hatten, sich über richtiges Verhalten in medizinischen Notfällen zu informieren, in erster Hilfe unterrichtet. Zuvor hatten die Johanniter 20 afghanische Ärzte und Krankenschwestern in Kursen auf diese Aufgabe vorbereitet. Medizinische Versorgung gibt es in dem von Taliban-Herrschaft gezeichneten und Kriegen zerstörten Land sonst kaum.
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. . . WAS SONST NOCH GESCHAH
42 Berliner Initiativen wurden gefördert – die vorgenannten sollen stellvertretend für alle anderen stehen. So viel mehr ist noch geschehen: Wolfgang Priewe vom Werkhaus Anti-Rost aus Tempelhof etwa brachte gerade mit anderen Ehrenamtlichen Nähmaschinen nach Sierra Leone – die UN haben das das Ausbildungsprojektausgezeichnet. Der Kinderbauernhof im Görlitzer Park hat einen neuen Anbau, der Schullandheimverband unterstützte benachteiligte Kinder, die sozialtherapeutischen Wohnheime haben einen neuen Aufenthaltsraum . . .