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Bezahlbarer Wohnraum in Berlin ist Mangelware. Das will ein Bündnis nun ändern.

© Kitty Kleist-Heinrich

Miet- und Wohnungspolitik: 300 Gruppen demonstrieren gegen Mietenwahnsinn in Berlin

Mieter, Gewerkschaftler und Sozialverbände schmieden ein außerparlamentarisches Bündnis. Ihr „Alternativer Wohngipfel“ mobilisiert 300 Gruppen.

Drei, ja sogar vier Mal so viele Teilnehmer hatten angefragt – „nur“ 250 werden am „Alternativen Wohngipfel“ teilnehmen können. Die Veranstaltungsräume im Umweltforum an der Friedrichshainer Auferstehungskirche platzen aus allen Nähten. Auf der Agenda steht die Gründung der wohl größten außerparlamentarischen „Sammlungsbewegung“ durch Repräsentanten von rund 300 Organisationen und Initiativen. „Bezahlbaren Wohnraum für alle“ und eine „grundlegend neue Wohnungs- und Mietenpolitik“ fordern sie.

Der Chef des Berliner Mietervereins ist nicht zu beneiden: Rainer Wild hat die Organisation des Großereignisses übernommen. Die Argumente für den Aufstand der Basis kann Wild im Schlaf aufsagen. Aber wo Menschen aus so grundverschiedenen Bewegungen zusammengeführt werden müssen wie dem Berliner „mietenwahnsinn“, Organisator der gleichnamigen Demonstration im April, dem eher behördlich organisierten Paritätischen Wohlfahrtsverband oder dem Deutschen Gewerkschaftsbund, dürfte die Moderation Nerven kosten.

Gelungen ist es trotzdem, Not schweißt zusammen. Und wie groß die ist, hat das Bündnis anschaulich zusammengetragen: Eine Million Wohnungen fehlen in Deutschland. Staatlich geförderte, günstige Wohnungen gibt es immer weniger: Vier Millionen gab es vor 30 Jahren, nur noch gut ein Viertel davon heute. Billig bauen wird immer schwieriger, weil die Grundstückspreise explodieren: in Berlin zuletzt um 77 Prozent innerhalb nur eines Jahres. Wer eine Wohnung in Berlin, Hamburg, München oder anderen Städten sucht, zahlt 50 bis 100 Prozent mehr als vor zehn Jahren.

Wohnungslosigkeit droht: 860.000 Menschen in Deutschland sind davon bereits betroffen. Deshalb beteiligt sich auch der Verein „BAG Wohnungslosenhilfe“ an dem Bündnis. Zumal wegen des „unzureichenden“ Kündigungsschutzes immer mehr Mieter um ihre Wohnung fürchten müssen. Von der Not profitieren die Vermieter: „Die Renditen steigen weiter, mit Immobiliengeschäften werden Rekordergebnisse eingefahren.“ Am Dienstag erst hatte die Linke ein Gutachten zum Großvermieter Vonovia vorgelegt, der einen Gewinn von über zehn Milliarden Euro über den Zeitraum von 2012 bis 2017 verbuchte - die Vonovia dagegen nennt einen Gewinn von "nur" 2,8 Milliarden Euro. Auch die Deutsche Wohnen legt einen Höhenflug bei den Gewinnen hin.

Die Berliner Mischung ist bedroht

So ist der Markt halt – was kann man da schon tun? „Alternativen zur offiziellen Wohnungspolitik fördern“, sagt Wild. Vermieter, die gemeinwohlorientiert bauen, müssten gefördert werden. Genossenschaften können dazu zählen oder auch Stiftungen. Die durchschnittlichen Mieten aller Genossenschaften in Berlin liegen unter den Marktmieten. Und die Schweizer Stiftung Abendrot hat beispielsweise die bunten Häuser der Genossenschaft Holzmarkt am Spreeufer finanziert, wo die frühere Partygemeinde jetzt Künstlern, Filmemachern und Musikern günstige Räume bietet, einer Kita, einem Bäcker, Cafés und kleinen Lebensmittelmanufakturen auch.

Diese Berliner Mischung verliert wegen der Spekulation mit Wohnhäusern immer öfter ihre Räume: Kleine Läden, Stadtteilinitiativen, Sozialeinrichtungen oder Demenz-WGs – sie alle können nicht die Mieten bezahlen, die zur Zahlung der Renditen gefordert werden. Und sie können auch nicht um Bauland konkurrieren mit Konzernen, die das Geld weltweit einsammeln. Hier müssten Bund und Land eingreifen und helfen.

„Alternativ“ ist dieser Gipfel aber auch deshalb, weil er einen Tag vor dem „Wohngipfel“ im Kanzleramt stattfindet, wo der Mieterbund allein der fast vollständigen Immobilienlobby Paroli bieten soll – Sozialverbände übergingen die Initiatoren im „Heimatministerium“ von Horst Seehofer (CSU). Die aus den Innenstädten Verdrängten wollen trotzdem ihre Stimme erheben: auf einer Demonstration am Freitag vor dem Kanzleramt.

Anm. d. Red.: In einer früheren Ausgabe dieses Berichts war von einem Milliarden-Gewinn "im vergangenen Jahr" die Rede statt wie es richtig heißen muss über den Zeitraum von 2012 bis 2017 - wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.

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