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Berlin: Mit Hightech in die Vergangenheit

Berliner Studenten entwickeln für das Jüdische Museum einen zukunftsweisenden Multimediaguide

Audioguides im Museum sind nicht jedermanns Sache. Zwar bieten solche Geräte den Vorteil, andere Besucher nicht zu stören. Sie haben aber auch einen entscheidenden Nachteil: Kommentare lassen sich lediglich abrufen, Zwischenfragen gibt es nicht und bei Nichtgefallen bleibt dem Besucher als letztes Mittel nur der Griff zur Stopptaste.

Das Jüdische Museum Berlin und die Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW) versprechen, hier Abhilfe zu schaffen. Ein gemeinsames Projekt mit dem Namen Emika will eine Vielzahl von multimedialen Anwendungen zusammenführen. Das ist nicht nur eine gute Gelegenheit für die Studierenden, Gelerntes in der Praxis zu erproben. Für FHTW-Vizepräsident Klaus Semlinger ist die Kooperation ein gutes Beispiel, wie die Berliner Wirtschaft profitieren kann, wenn Hochschulen und städtische Auftraggeber eng zusammenarbeiten. Denn das innovative Kultur-Orientierungssystem könnte bei erfolgreicher Erprobung und Vermarktung auch andernorts zum Einsatz kommen. „Wenn Berliner Institutionen wie das Jüdische Museum als innovative Nachfrager auftreten, kann Berlin seine Stärke in Wissenschaft und Forschung auch in Exporterfolge umsetzen“, glaubt Semlinger. Mehr Mut zu innovativen Anschaffungen erhofft sich der Wissenschaftler auch von anderen Berliner Einrichtungen und von den Behörden.

Wer sich zukünftig auf Spurensuche nach jüdischem Leben in Berlin begibt, könnte das mit einem satellitengestützten Stadtplan auf dem Handy und einer Museumsführung auf seinem MP3-Player tun. „Das entspricht der Philosophie unseres Hauses. Wir wollen damit Jugendliche erreichen, für die der Umgang mit solchen Medien bereits zur Selbstverständlichkeit geworden ist“, sagt Jutta Strauss, Leiterin der Medienabteilung im Jüdischen Museum. Vor allem will das Projekt Emika den Gang durch Museum und Stadt zu einer interaktiven Entdeckungsreise machen. Besucher sollen sich frei bewegen, ihre Routen selbst auswählen, statt dem Diktat einer Tonbandstimme zu folgen. „Das würde bei diesem Thema auch gar nicht funktionieren“, sagt der Informatiker Jürgen Sieck, der das Projekt an der FHTW betreut.

Würde man jede Synagoge und jeden Friedhof, jede Schule und jeden Verein mit Punkten auf einer Karte markieren, bekäme man ein aufschlussreiches Muster jüdischen Lebens in Berlin – und bei einem Stadtrundgang wahrscheinlich Blasen an den Füßen. Der Jüdische Friedhof in Weißensee, die Synagoge in Mitte oder das Jüdische Museum im Liebeskindbau – 150 Orte und Erinnerungsstätten will Emika in seine Datenbanken aufnehmen und dabei auch die dunklen Kapitel in der Geschichte nicht ausblenden. „Bei dieser Vielzahl drängt sich eine individuell zusammengestellte Führung geradezu auf“, sagt Sieck.

Im Jüdischen Museum selbst können die Gäste bald per Mausklick und Bildschirm auf elektronischen Litfaßsäulen durch die Geschichte von Juden in Deutschland reisen und zum Beispiel Rezepte für ein koscheres Menü auswählen. Oder aber Bilder, Texte und Dokumente ausdrucken und zu einem eigenen Ausstellungskatalog zusammenstellen.

Zunächst geht es Sieck und seinen Mitarbeitern allerdings um technische Fragen: Mit welchen Geräten kommen die Besucher klar? Wollen Sie Information auf ihr Handy laden oder lieber ein mobiles Gerät mieten? Mit welchem Programmiermodus soll das System arbeiten? Um zu klären, welcher Service gut ankommt, wollen die Wissenschaftler bis zum Sommer verschiedene Geräte von den Besuchern testen lassen. 13 Mitarbeiter betreuen das vom Europäischen Sozialfonds unterstützte Projekt, das Informationstechnik und Kulturwissenschaften zusammenbringen will. Judaisten und Historiker erarbeiten zusammen mit dem Museum die Inhalte, Informatiker sorgen für die technische Umsetzung. Derzeit verhandelt Sieck mit zwei großen deutschen Mobilfunkanbietern – damit Besucher sich Texte, Tondokumente und Routenvorschläge überall in der Stadt auf ihr Handy laden können. Außerdem ist die Zusammenarbeit mit Berliner IT-Firmen und den Herstellern von Museums-Audio-Systemen geplant. Am Ende soll ein multimediales Informationssystem stehen, das sich auch auf andere Themen übertragen lässt – und durchaus ein lukratives Geschäft versprechen könnte.

Mit sieben Prozent des Bruttoinlandprodukts ist der Fremdenverkehr einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren Berlins. Im vergangenen Jahr kamen nach Angaben der Berlin Tourismus Marketing GmbH etwa 140 Millionen Besucher in die Hauptstadt. Von den Gästen aus aller Welt profitieren nicht nur Hotels, Pensionen oder etwa die Berliner Flughäfen. Längst hat sich ein eigener Bereich von Firmen etabliert, die die Handelskammer unter dem Namen Fremdenführer/Reiseleitung führt. Wer die Stadtmagazine durchblättert, stößt auf Agenturen mit klangvollen Namen: Stattreisen, Gehen und Sehen und Zeitreisen. Der Verein Berliner Unterwelten bietet Exkursionen in Kanäle und Katakomben unter der Stadt. Etwa 200 solcher Firmen zählt die Industrie und Handelskammer in Berlin (IHK), einige gestalten bereits heute ihre Spaziergänge multimedial. So nimmt die Firma Zeitreisen ihren Namen beim Wort und zeigt Gästen im Videobus historische Filmaufnahmen der Originalschauplätze. Und Hotelgäste des Hyatt können sich mit einem interaktiven Führer der Architekturgruppe Ticket B am Potsdamer Platz umschauen. Auch in anderen europäischen Metropolen sind innovative Informationssysteme gefragt.

„Natürlich wird die neue interaktive Technik den persönlichen Stadtführer nicht ersetzen“, sagt Christian Tänzler vom Tourismus-Marketing Berlin. „Aber gerade bei stark auf Themen bezogenen Führungen eignet sie sich hervorragend.“ Im Liebeskindbau wird es trotzdem weiterhin Museumsführer zum Anfassen geben. „Zunächst ist Emika ein Test, der verschiedene Plattformen ausprobiert“, sagt Sieck. „Wenn sich allerdings eine Firmengründung daraus ergibt, würde mich das natürlich freuen.“

Alexander Heinrich

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