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Eine Dönerverpackung liegt neben einem Küchenmesser, Tomaten, Knoblauch und einer Zwiebel.

© IMAGO / Bihlmayerfotografie

Mit Rotkohl, Bratapfel und Gewürzen: Berlin hat jetzt einen Weihnachtsdöner – darf man das?

Berlins neueste Döner-Kreation kommt mit Bratapfel und Gewürzen daher. Unser Autor findet: Länderküchen-Fusionen verbinden die Gaumen der Welt. Trotzdem hat er eine Bitte.

Bernd Matthies
Eine Glosse von Bernd Matthies

Stand:

Der Untergang des Abendlandes ist immer nur eine Ecke entfernt. Sagen die, deren Geschäftsmodell es ist, den Untergang des Abendlandes zu beschwören. Deshalb können wir nicht ganz sicher sein, ob die aktuelle Fundsache vom Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche demnächst Anfragen im Bundestag auslöst oder eine lustige Petitesse bleibt: der Weihnachtsdöner, schön ausdekoriert mit Rotkohl, Bratapfel und Gewürzen. Kulturelle Bereicherung, kulturelle Aneignung? Islamismus im Schlafrock – oder umgekehrt eine Anbiederung des islamischen Raums ans Weihnachtschristentum?

Je länger man drüber nachdenkt, desto komplizierter wird die ganze Sache, nicht wahr? Bleiben wir also lieber im überschaubaren Bereich, dem rein kulinarischen. Wer kommt auf solche Ideen? Köche. Kaum irgendwo lässt sich der Clash of cultures so hübsch und folgenlos darstellen wie in den harmlosen Fusionen der globalen Länderküchen: Karpfen-Ceviche, Gänsebraten aus dem Wok mit Pak Choi, Abalone Hausfrauenart. Geht alles, wird alles gegessen, verbindet die Welt am Gaumen.

Aber ist wirklich alles erlaubt? Fragen Sie mal einen deutschen Al-Dente-Taliban, was er von Pizza Hawaii hält. Nacktes Entsetzen! Blanke Wut! Angesichts eines solchen Gefühlsverbrechens gegen das geistige Erbe der Toskana-Fraktion fallen glatt die Erstausgaben von Gramsci und Pasolinis Freibeuterschriften aus dem Regal – allerdings in Deutschland, nicht in Italien, wo sie derlei Spielereien mit ihren Grundnahrungsmitteln gewohnt sind und höchstens mit einem abfälligen „Che vuol dire?“ kommentieren.

Das liegt daran, dass der halbe Kanon der italienischen Küche, wie wir ihn heute kennen, von italienischen Auswanderern in Amerika erfunden wurde. Mac and Cheese, Spaghetti and Meatballs, dick aufgefluffte Pizza – die Liste ist lang. Als kürzlich aber ein Professor aus Parma behauptete, auch das Rezept für Spaghetti Carbonara sei in Amerika erfunden worden, und den besten Parmesan-Käse gebe es in Wisconsin, da gingen seine Landsleute doch ein wenig auf die Barrikaden.

Beim Weihnachtsdöner ist das nicht zu erwarten. Denn das ganze Döner-Konzept von Spießfleisch im Fladenbrot „mit alles“ ist schließlich eine deutsche Erfindung, eine Mischung aus türkischen Grillwelten mit deutscher Imbisshektik. Und daraus dürfen wir eventuell das Recht ableiten, die Rezeptur weiterzuentwickeln und sie Region und Saison anzupassen. Vielleicht noch ein paar Fichtennadeln drauf und einen pausbäckig trompetenden Engel als Verzierung?

Nicht übertreiben. Niemand hat die Absicht, Risotto mit Rotkohl und Klößen oder Curry-Spekulatius zuzubereiten, das ist gut so, das soll auch so bleiben. Und was den Weihnachtsdöner angeht, hätten wir eine Bitte: Er möge doch zackbumm mit dem Ende des Festes wieder in der Versenkung verschwinden. Anfang Dezember 2026 können wir dann ja nochmal drüber reden.

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