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Mit Wucht in die Hochsaison: Wo bleiben die Regeln für Lastenräder in Berlin?
Mit Kindern und Paketen schwer beladene Monster-Geschosse werden behandelt wie leichte Rennräder, obwohl sie viel schwerer zu handhaben sind. Es braucht Vorschriften, findet unsere Autorin.

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Berlin, Stadt der Rätsel und Extreme. Ja, es ist aufregend, hier zu leben, weil man immer etwas zum Nachdenken hat. Nur leider nicht immer Erfreuliches. Einerseits türmen sich Bauvorschriften in altgedienten Aktenordnen, bis sie voller Verzweiflung an den Wolken kratzen und um Gnade flehen, weil man die Welt nicht sicherer machen kann, als sie nun einmal ist. Aber mit weniger Vorschriften könnte man mehr Wohnungen bauen. Und viel mehr Flughäfen, so wie in China, wo sie einen Bruchteil der Zeit brauchen, die es hier kostet, das Ding zum Fliegen zu bringen.
Andererseits gibt es Bereiche, wo das mit der Sicherheit erstaunlich lässig, bis gar nicht gehandhabt wird. Da kümmert sich keiner, weil Ideologie sich wie ein Tarnmantel über das Problem legt und es unsichtbar macht für die Augen der sonst so fleißigen Vorschriften-Erfinder.
Elterntaxis auf dem Schulweg
Womit wir bei den Lastenrädern wären, die so schwerfällig sie auch sein mögen, gerade dennoch mit großer Wucht auf ihre Hochsaison zusteuern. Man begegnet ihnen überall. Als sogenannte Elterntaxis steuern Mama oder Papa ihre beiden Erstklässler Richtung Schule, gern auf dem Gehweg, da der Fahrradweg zu schmal und die Straße zu gefährlich ist. Auch die fleißigen Lieferfahrzeuge nehmen vorzugsweise mal die Abkürzung über den Gehweg. Das Essen soll ja nicht kalt werden, bevor es die Sofakartoffeln erreicht.
Lastenräder gibt es für alle Transportgelegenheiten. Wer sie teuer findet, übersieht die unsichtbare Zugabe, die beim Erwerb eines solchen Gefährts obligatorisch ist: Das erhabene Gefühl, ein besserer Mensch zu sein, der die Erde hütet, weil er die Umwelt schützt, erfüllt jede mit Stolz geschwellte Brust beim Verlassen des Fahrradladens. Anders als andere Gefühle ist dieses nicht mal flüchtig, sondern so nachhaltig, wie ein Kampfradler sich fühlt.
Hurtig aus dem Weg springen
Das stolze Gefühl sitzt dann gemütlich im hocherhobenen Haupt des Lastenradlers, winkt von dort aus huldvoll auf die Fußgänger, die hurtig aus dem Weg springen, sobald das fette Fahrrad auf einem eigentlich als Bürgersteig konzipierten Stück Land sich nähert. Für beide ist kein Platz, und so ein Lastenrad ist schwer zu steuern. Der Schwächere gibt also nach, auch auf seinem ureigenen Terrain.
Im Prinzip gelten für Lastenräder dieselben Verkehrsregeln wie für Fahrräder, die allerdings ungleich flexibler und einfacher zu handhaben sind. Aber wer will schon nachmessen, ob das dicke Geschoss, das dem schwachen Fußgänger da entgegenkommt, wirklich nicht breiter als zwei Meter ist und nicht länger als vier Meter und nicht mehr Tretkraftunterstützung hat als 25 km/h?
Versicherung rät: Nicht überladen
Das sind schon reichlich gefährliche Ausmaße. Eine große Versicherung rät fürsorglich im Internet, darauf zu achten, das Lastenrad nicht zu überladen. Eine Begrenzung des Gesamtgewichts gibt es freilich nicht.
Normalerweise sollten Lasten-Transporteure zwar auf die Straße ausweichen, wenn der Radweg zu klein ist. Aber der Gehweg erscheint manchen doch oft sicherer. Klar, denn auch der selbstbewussteste Gutmensch auf zwei oder drei Rädern weiß, dass das mit dem Ausweichen kritisch sein kann.
Bürokratie mag keine modischen Zeiterscheinungen
Und die unbewehrten Zweifüßler werden ja wohl aus dem Weg springen, sich an die Wand pressen oder im Gebüsch verschwinden, wenn sie sich mit ihrer kostbaren Fracht den Weg bahnen. Bei Autofahrern kann man auf so defensives Verhalten nicht unbedingt bauen.
Berlin zählt zwar immer mehr Fußgänger, aber dass zu deren Schutz mal verbindliche Regeln erstellt werden für modische Zeiterscheinungen wie Lastenräder scheint in der Hauptstadt der Bürokratie nicht gewollt zu sein. Egal, wie adipös das heilige Fahrrad wuchert, es genießt offensichtlich unbegrenztes Wohlwollen bei den Verantwortlichen.
Leider geht das Wohlwollen nicht so weit, dass diese bereit wären, Geld in die Hand zu nehmen, um das Straßennetz so umzubauen, dass für alle sichere Bedingungen und verlässliche, nachvollziehbare Regeln herrschen, in denen die Unterschiede zwischen einem leichten Rennrad und einem behäbigen Lastengeschoss anerkannt werden.
Offenbar haben die Bürokraten ihre Energie bei den fein verästelten Bauvorschriften schon vollständig verbraucht. Beim Anblick der Lastenräder werden sie faul, wie die Sofakartoffeln, die es nicht mehr ins Restaurant schaffen und sich die dampfende Pizza lieber von ausgepowerten Lastenradlern auf der Fußmatte servieren lassen.
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