
© Tagesspiegel/Kitty Kleist-Heinrich
Mordprozess gegen Berliner Palliativarzt: „Meine Mutter wollte weiterleben“ – hinterbliebener Sohn sagt aus
Der Palliativarzt Johannes M. ist angeklagt wegen Mordes in 15 Fällen – unter anderem an der 72-jährigen Gisela B. Ihr Sohn ist davon überzeugt, dass sie nicht sterben wollte.
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Der Sohn rief am Morgen noch an. Wie es mit der neuen Matratze sei, wollte er wissen. „Mutter sagte, sie habe wunderbar geschlafen“, erinnerte sich der Sohn im Prozess gegen Palliativarzt Johannes M. vor dem Berliner Landgericht. Als er nur Stunden später von ihrem Tod erfuhr, sei er schockiert gewesen. „Sie hatte Pläne, wollte mit ihrer Schwester an die Ostsee reisen – meine Mutter wollte weiterleben“, sagte der 54-Jährige.
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte die 72-jährige Frau und 14 weitere Patientinnen und Patienten jeweils mit einem tödlichen Medikamenten-Gemisch ermordet habe. Der 40-Jährige habe sich zwischen September 2021 und Juli 2024 als „Herr über Leben und Tod“ geriert.
Bei mehreren Taten soll M. Feuer gelegt haben, um Spuren zu verwischen. Mit diesen Fällen befasst sich das Gericht zuerst. Am neunten Prozesstag ging es um den Tod von Gisela B. am 24. Juli 2024. Ihre Leiche wurde in ihrer Wohnung in Plänterwald entdeckt – stark verkohlt lag sie auf dem Sofa.
Wie die anderen mutmaßlichen Opfer hatte sie laut Anklage kurz zuvor Besuch von Johannes M. „Sie war bereits tot, als der Brand ausgebrochen ist“, sagte eine Rechtsmedizinerin. Es seien keine Gifte in der Lunge gefunden worden. Hinweise auf stumpfe oder scharfe Gewalt habe es auch nicht gegeben, so die Ärztin. Ein Polizist hatte vor Gericht erklärt, der Brand sei wahrscheinlich am Sofa ausgebrochen. Sie hätten keinen Hinweis auf Fahrlässigkeit durch eine Kerze oder Zigarettenkippen gefunden, keine Hinweise auf Brandbeschleuniger.
Ein Holzbrett in Apfelform stand nach dem Brand auf dem Herd – „aber ursprünglich befand es sich am Fenster und wurde eigentlich nicht benutzt“, sagte der Sohn der 72-Jährigen. An Suizid habe sie nicht gedacht – „sie wollte 100 Jahre werden“. Sie war schwer erkrankt, aber dachte positiv, schilderte ein Nachbar. „Gisela war realistisch und kämpferisch.“ Auch eine Pflegerin sagte, sie sei überrascht gewesen von ihrem Tod. Ob Gisela B. vergessen haben könnte, den Herd auszuschalten? „Sie war klar, voll orientiert.“
Drei Tage nach diesem Fall meldete sich die Chefin von M. bei der Polizei. Nach vier Leichen und vier Bränden innerhalb von sechs Wochen glaubte sie nicht mehr an Zufälle. Am 5. August 2024 wurde M. festgenommen. Er befindet er sich in Haft. In mehr als 70 Verdachtsfällen wird noch ermittelt. Der Prozess geht Donnerstag weiter.
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