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Ein Palliativarzt begleitet todkranke Patienten auf ihrem letzten Weg im Hospiz, Pflegeheim, in der WG oder privat daheim.

© Tagesspiegel/Kitty Kleist-Heinrich

Palliativarzt-Prozess fortgesetzt: „Sie hatte Hochs und Tiefs, aber sie war immer sehr taff“

Ein Palliativarzt steht wegen 15-fachen Mordes vor Gericht. Am Montag wurden Zeugen zum Tod einer Seniorin in Neukölln befragt. Deren Gesundheitszustand war den Angehörigen nicht ungewöhnlich erschienen.

Stand:

Die Nachricht vom Tod der Schwiegermutter kam überraschend. Die Familie habe die hochbetagte und pflegebedürftige Seniorin oft in ihrer Wohnung in Neukölln besucht, schilderte die 68-jährige Schwiegertochter am Montag im Mordprozess gegen Palliativarzt Johannes M. vor dem Landgericht. Dabei habe sie keine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands festgestellt. „Sie hatte Hochs und Tiefs, aber sie war immer sehr taff.“

Karin H. starb mit 94 Jahren. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass sie Opfer des Palliativmediziners Johannes M. wurde. Am 15. Juli 2024 habe er sich am späten Nachmittag Zugang zur Wohnung der körperlich geschwächten Seniorin verschafft, so die Anklage. Er habe der Frau „ohne ihr Wissen und ohne medizinische Indikation ein Narkoseeinleitungsmittel sowie ein Muskelrelaxans verabreicht“. Innerhalb weniger Minuten sei es zum Atemstillstand gekommen.

Einem mittlerweile 40-jährigen Arzt wirft die Staatsanwaltschaft Berlin in ihrer Anklage fünfzehn Fälle des Mordes aus Heimtücke und sonstigen niedrigen Beweggründen vor.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Nachbarn hatten die Feuerwehr gerufen, weil ein Rauchmelder in der Wohnung der Frau Alarm ausgelöst hatte. Es sei allerdings ein noch kleiner Brand gewesen, berichtete im Prozess ein Feuerwehrmann. Auf dem eingeschalteten Herd habe eine Pfanne gestanden, eine Küchenrolle lag in der Nähe, habe Feuer gefangen. „Die Wohnung war leicht verraucht, es war nicht kritisch.“ Aufmerksame Nachbarn hatten sofort auf den Alarm aus der Wohnung reagiert.

Johannes M. soll sich zwischen September 2021 und Juli 2024 als „Herr über Leben und Tod“ geriert haben, so die Anklage. 15 Patienten, 25 bis 94 Jahre alt, soll er jeweils mit einem tödlichen Medikamenten-Gemisch ermordet haben, um seine eigenen Vorstellungen von deren Sterben und Zeitpunkt des Lebensendes zu verwirklichen. Bei mehreren Taten habe er Feuer gelegt, um Spuren zu vertuschen. Der 40-jährige Familienvater befindet sich seit August 2024 in Untersuchungshaft. Bislang schweigt er zu den Vorwürfen.

Die 94-jährige Karin H. konnte ihre Wohnung nicht mehr allein verlassen, sie brauchte Hilfe, wusch und bügelte aber noch selber. Ihr Sohn kam fast jeden Tag. „Sie hat sich gefreut, wenn wir kamen, ich war auch mit meiner Enkelin da – die beiden waren ein Herz und eine Seele“, beschrieb die Schwiegertochter.“ War die Seniorin schusselig? „Ganz sicher nicht.“

Wollte die 94-Jährige möglicherweise nicht mehr leben, könnte sie um Sterbehilfe gebeten haben? Die Antwort der Zeugin kam mit fester Stimme: „Nie hat sie gesagt, dass sie nicht mehr möchte.“ Die Verhandlung geht am Mittwoch weiter.

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