Berlin: Musical: Drei Entertainer für Quasimodo
"Oh my god", ruft Gayle Tufts. "Ich habe jetzt Phonetikunterricht und lerne die Wurzel deutscher Wörter.
"Oh my god", ruft Gayle Tufts. "Ich habe jetzt Phonetikunterricht und lerne die Wurzel deutscher Wörter. Eins weiß ich jetzt: Der Ursprung von Phonetikerin ist Sadistin!" Die beiden Herren neben ihr am Kantinentisch, Dirk "Lucas" Bach und Ralph "Kaffeeklatsch" Morgenstern können sich trotz leichten rheinischen Tonfalls dieses Training wohl sparen. Ansonsten heißt es aber für alle drei: Üben, üben, üben. Ab dem 25. Oktober gibt das Trio 17 Gastauftritte als Wasserspeier im "Glöckner von Notre Dame".
Zwischen zwei Proben bleibt nur eine knappe Stunde Zeit zum Essen. Dirk Bach amüsiert sich über die mächtigen Portionen, die die wohlmeinende Kantinenfrau ihm stets auftischt während Ralph Morgenstern von seiner Neuerwerbung erzählt, einem handtellergroßen schwarzen Mops. Wer so beiläufig miteinander über die Banalitäten des Lebens plaudern kann, muss sehr gut befreundet sein. Es war nicht nur die Aussicht, Europas modernste Bühne zu bespielen, sie hatten Lust, endlich einmal miteinander zu arbeiten. Bei der Probe vorhin ging es nicht ganz so locker zu.
Wer glaubt, hier schlage man sich unentwegt vor Lachen auf die Schenkel, hat sich gründlich getäuscht. Die drei geben nicht die coolen Profis, sie wirken auf eine rührende Art eher wie Schüler, die ihr Bestes geben wollen. Die Inszenierung hat schon über eine Million Besucher gehabt, nun müssen die Gaststars Schritt für Schritt, Bewegung für Bewegung, Note für Note in die festen Strukturen eingebaut werden. Zuerst wurden mit dem weiblichen Dance Captain Tanzschritte eingeübt - und vor und seit und Drehung, - jetzt kümmert sich der Regisseur um die darstellerische Seite.
Die technisch spektakuläre Bühne ist zwar der eigentliche Star, sie bringt aber auch eine Menge Einschränkungen mit sich. Bei der flotten Musiknummer die jetzt auf dem Probenplan steht, wird nicht nur gesungen, getanzt, gespielt, alles findet außerdem auf großen beweglichen Podesten statt, die mehrere Meter rauf- und runterfahren. Ein falscher Schritt und Schluss ist es mit dem Wasserspeien. Dirk Bachs Höhenangst verleitet die Bühnenmeisterin dazu, sich das Schicksal eines echten Wasserspeiers auszumalen, der seit Jahrhunderten auf den Zinnen von Notre Dame hockt und unter Fallsucht leidet. Gayle kämpft mit ihren Plastikflügeln, Dirk macht Witze über den nicht vorhanden Hals von Anke Engelke und Ralph bekommt Hausaufgaben: Er muss seinen Hüftschwung üben. Dabei hätte man doch gedacht, er sei mit einem gekonnten Hüftschwung auf die Welt gekommen. Man kann sich auf nichts mehr verlassen.
Als nächstes ist die Sterbeszene von Esmeralda dran. Dirk Bach guckt dabei so ernst, so traurig, dass selbst auf dieser nackten Bühne der Funke überspringt. Der Regisseur ist zufrieden, doch das Trio macht sich Sorgen. Sie haben nur ganze neun Proben miteinander auf der großen Bühne, und mit dem Orchester werden sie zum ersten Mal am Premierentag arbeiten. Alle drei sind Perfektionisten. Nicht so sehr der PR-Effekt zählt für sie, sie wollen schlicht gut sein. Dabei ist es gar nicht so einfach, drei Individualisten in die Musicalmaschine einzufügen. "Es ist als ob du Bäcker gelernt hast und plötzlich Elektrotechnik machst", erklärt Gayle Tufts den Unterschied zu ihrem sonstigen Probenprozess.
Die Idee, eine schon länger laufende Show mit Gaststars aufzupeppen stammt natürlich aus den USA. Es ist ein Spagat zwischen Kunst und Geld, denn nicht immer ist der Big Name auch ein Big Actor. In diesem Fall aber ist der Regisseur begeistert. Die drei seien für ihn ein Traum, sagt er, einfach perfekt. Und es klingt noch nicht einmal nach PR-Deutsch. Die leichte Skepsis der so Gelobten ehrt sie. Gerade weil sie in diesem Probenstadium nicht die abgebrühten Stars geben, werden sie ihre Sache gut machen. Dirk Bach wird seine Höhenangst vergessen, Gayle Tufts ihren Kampf mit den Flügeln und der Aussprache des deutschen "ch" gewinnen. Und Ralph Morgenstern wird am Premierenabend einen Hüftschwung hinlegen, der seinesgleichen sucht.
Matthias Frings