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Hans-Georg Guyot

© privat

Nachruf auf Hans-Georg Guyot: Alpenveilchen für die Stadt

Viel Geld brachte der Gemüseanbau nicht ein. Aufwärts ging es mit den Zierpflanzen. Der Nachruf auf einen Berliner Bauern.

„Wat haste jemacht mit dein’ Leben?“ Die strenge Frage des Erzengels, als endlich mal wieder ein Berliner am Himmelstor anklopfte, konnte Hans-Georg schnell beantworten: „Jejärtnert von früh bis spät.“ – „Denn willkomm’ im Paradies, Järtner könnwa imma jebrauchen! Aber der Kräuterlikör da …“, der Erzengel wies streng auf die kleine Flasche hinter des Ankömmlings Rücken, „der bleibt draußen!“ Ab hier wird die Geschichte ein wenig unglaubwürdig, denn auf die letzte Flasche Kuemmerling hätte Hans-Georg nie verzichtet, die hat ihm nämlich sein Sohn mit ins Grab gegeben.

Hans-Georg war das einzige Kind der Bauern Guyot, die von Hugenotten abstammten, Religionsflüchtlingen, denen seinerzeit in Französisch Buchholz viel sandiges Land zur Kolonisierung anvertraut worden war. Landwirtschaft und Gärtnerei, ein Familienbetrieb, in dem alle mit anpacken mussten. Als ihr Besitz verstaatlicht werden sollte, siedelten die Guyots nach West-Berlin über, wo Bauern und Gärtner zur Versorgung hoch willkommen waren.

In Kladow wurden den Guyots und anderen bäuerlichen Umsiedlern in feierlicher Anwesenheit des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt zinsgünstig Ländereien und Gartenbetriebe übereignet. Vater Guyot war gern sein eigener Herr, und der Sohn tat es ihm nach, in der Arbeit und in der Liebe. „Die ist doch eine Schauspielerin“, schimpfte seine Mutter, als er Siegrid vorstellte. Siegrid war Krankenschwester, aber sie zog sich gern hübsch an, das missfiel der Schwiegermutter, und so dauerte es vier Jahre, bis die beiden endlich heiraten durften. Als die Tochter geboren wurde, murrten die Schwiegereltern noch ein wenig, als dann aber der Stammhalter zur Welt kam, war eitel Sonnenschein – was den Enkel anging. Die Schwiegertochter stand weiterhin unter Beobachtung. Wenn sie sich ein neues Kleid kaufte, musste sie es erst mal einige Zeit im Schrank verstecken, bis es als getragen galt.

Epizentrum Kellerbar

Schlendrian war verpönt. Von früh bis spät wurde gearbeitet. Viel Geld brachte der Gemüseanbau nicht ein. Möhren, Radieschen, Petersilie, Schnittlauch, bald kostete die Kiste mehr als das, was drin war. Richtig aufwärts ging es erst Anfang der 70er, als Siegrid und Hans-Georg sich auf Zierpflanzen konzentrierten. Geranien um die 35.000 Stück, Alpenveilchen um die 20.000, dazu Tulpen und Nelken, die Felder und Gewächshäuser standen voll, denn damals wollte jeder seinen Balkon zieren und was Schönes in die Vase stellen. Hans-Georg hatte ein Händchen für Technik, und sein bester Freund war Maurer, so konnten sie die meisten Bauarbeiten selbst machen. Auch die Kellerbar; die war das Epizentrum all der Partybeben, die Kladow an gesetzlichen wie ungesetzlichen Feiertagen erschütterten. 50 Leute passten in die Bar nach der Erweiterung, und wenn Andrea Berg sang, klang der Chor der Feiernden noch zahlreicher.

Ansonsten gab es 14 Tage Urlaub im Jahr, meist auf Mallorca, denn da war es leicht, sich zu verständigen. Hans-Georg konnte ja keine Fremdsprachen, aber er ist gern etwas mutiger aufgetreten, als er war. Später ging es nach Bali und auf Kreuzfahrt mit der „Albatros“ über die Weltmeere, was sie sich gern einiges kosten ließen. Nach dem Mauerfall hatte die Familie Guyot ihr Land in Französisch Buchholz zurückbekommen, ab da musste nicht mehr jeder Pfennig umgedreht werden, was für Hans-Georg und Siegrid vor allem hieß, dass sie großzügiger Trinkgeld geben konnten. Und dass Hans-Georg sich seinen Traum erfüllen durfte: Einen Mercedes mit Ledersitzen und allem Pipapo, mit dem es jedes Jahr auf Kur nach Bad Pyrmont ging. Aber das meiste Geld floss in den Neubau der Gewächshäuser, denn die Kinder sollten einen modernen Betrieb erben. Nur ohne neumodische Sachen wie Bewässerung von oben, nichts mit Elektrik. Mit der Hand muss noch gegossen werden. Schade nur, dass die Nachfrage nach Zierpflanzen einbrach. Eine Stadt wird ja mit Blumen erst schön, wie Siegrid immer sagt, aber da fehlt’s in Berlin an allen Ecken und Enden.

[Die anderen Texte unserer Nachrufe-Rubrik lesen Sie hier, weitere Texte des Autors, Gregor Eisenhauer, lesen Sie hier]

Als der Sohn beschloss, einmal im Monat die Gewächshäuser für Comedy-Veranstaltungen zu öffnen, war der Vater skeptisch: „Wie, alles neu gemacht, und dann kommen die Komödianten rein?!“ Aber er ließ sich schnell überzeugen und hatte seinen Spaß daran, das Publikum mit Kuemmerling zu versorgen. Als er nicht mehr so recht laufen konnten, schob er sich mit dem Rollator durch die Menge und verteilte rechts und links die Fläschchen. Gut für die Gesundheit, und Prost – auch wenn es bei ihm nicht mehr wirklich wirkte. Aber Siegrid wollte ihn unbedingt zu Hause behalten, selbst als der Geist langsam schwand. Über 56 Jahre hatten sie sich immer was zu sagen gehabt, Sigi und ihr Bengel, und das Schlimmste war für ihn gewesen, wenn sie mal schwieg, aber das kam glücklicherweise nicht so oft vor.

Zum Abschied legte ihm Siegrid Nelken aufs Grab, die hat er sehr geliebt, und Andrea Berg sang „Wenn ich geh, lass ich mein Herz bei dir“ und natürlich bei den Kindern und den Enkeln und all den Freunden. Weil die sich wegen Corona nicht alle am Grab versammeln durften, wird es noch eine Abschiedsfeier im Oktober geben, und dann werden sie alle ihr Fläschlein zum Himmel heben, denn so schön es dort droben auch sein mag, in Kladow war sein Zuhause.

[Wir schreiben regelmäßig über nicht-prominente Berliner, die in jüngster Zeit verstorben sind. Wenn Sie vom Ableben eines Menschen erfahren, über den wir einen Nachruf schreiben sollten, melden Sie sich bitte bei uns: nachrufe@tagesspiegel.de. Wie die Nachrufe entstehen, erfahren Sie hier.]

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