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Nachruf auf Ákos Tóth: Kaffeepause ist Kaffeepause
Alles zu seiner Zeit, alles in seiner Geschwindigkeit. Der Nachruf auf einen Pragmatiker
Stand:
Ákos und seine Freundin Kathrin stehen im Leipziger Zoo vor drei in einer Reihe angeordneten Terrarien. In Terrarium Nummer eins hockt ein roter Lurch, im zweiten eine blaue Echse, im dritten jedoch fehlt das dort üblicherweise wohnhafte gelbe Geschöpf. In Terrarium Nummer drei ist einzig Grün zu sehen von all den wuchernden Pflanzen.
Kinder tauchen auf und stellen sich dicht neben Ákos. Was nicht ungewöhnlich ist, auf Kinder scheint er eine Art Zauber, eine fesselnde Wirkung auszuüben, auch auf gänzlich fremde Kinder. Das ist ein bisschen lustig, denn Ákos seinerseits sind Kinder eher egal. Aber nun sind sie einmal da, also kann er auch ein kleines Gespräch mit ihnen beginnen. Er fragt: Seht ihr, was dort, in diesem Terrarium ist? Die prompte Antwort der Kinder: Nichts. Wieder Ákos: Doch, da ist was, ihr müsst nur genau hinschauen. Die Kinder, sehr ernst und engagiert, suchen und suchen. Nein, da ist nichts, sagen sie noch einmal. Ákos flunkert in völlig ernstem Ton: Doch, da hinten, unter den grünen Blättern, versteckt sich ein grüner Frosch.
Er und Kathrin schlendern weiter, die Kinder bleiben vorm Terrarium und lassen ihre Augen durch das grüne Gewirr wandern. Mit ziemlicher Sicherheit würden sie noch heute dort stehen und den Frosch suchen, aber inzwischen sind sie bestimmt von ihren Eltern abgeholt worden.
Der gutmütigste Mensch auf Gottes Erden
Ein Freund hat einmal zu Kathrin gesagt: Wie hast du es geschafft, den gutmütigsten Menschen auf Gottes Erden zu finden? Was er im Grunde nicht als Frage meinte. Es war eine Feststellung. Ákos der Ausgeglichene. Der sich nicht aus der Ruhe bringen lies, auf das Wesentliche konzentrierte.
Sich auf sein Motorrad setzte und losfuhr, immer weiter. Irgendwann in einen schmalen, sandigen Weg einbog, anhielt, abstieg, ein paar Schritte lief, bis er einen Baumstumpf entdeckte, einen Baumstumpf mit Blick in die Landschaft. Er setzte sich, packte eine Kanne Tee aus und ein paar belegte Brote, zündete sich eine Zigarette an, und schaute, einfach so, sonst nichts.
Wenn er arbeitete, als Bauingenieur in einem Büro für Fassadenplanung, saß er vor seinem Bildschirm und arbeitete eben, egal ob ein Spatz vor dem Fenster krakeelte oder ob er jetzt vielleicht lieber einen Kaffee getrunken hätte. Es gab ein Problem und für das Problem musste eine Lösung her, für die Durchbiegung oder den Wärmeschutz oder die Windlasten einer Fassade. Oder eine Antwort auf die Frage, wie ein Monteur später noch in eine bestimmte Ecke gelangen würde, ohne Teile der Konstruktion demontieren zu müssen. Nichts lenkte ihn von dem ab, was er gerade tat. Und auch die Kaffeepause, dann endlich, war nichts als eine Kaffeepause. Keine weitere Unterhaltung über das Projekt, eher über den Ausflug am kommenden Wochenende an den Scharmützelsee oder eine andere schöne Kleinigkeit.
War die Pause zu Ende, setzte Ákos wieder sein Arbeitsgesicht auf und nahm sich das nächste Problem vor, diese Pläne da hätten eigentlich schon gestern Abend an den Kunden gehen müssen, aber gut, kein Stress, auch wenn die Zeit drängte, auch wenn die Auftraggeber Druck machten. Drehten andere Leute vor Nervosität längst durch, blieb er gelassen.
Genauso im Privaten. Ákos im Auto raste nicht, nur weil sie knapp dran waren, nur weil Kathrin zu Hause ewig ihren Schlüssel gesucht hatte. Er saß hinterm Lenkrad, guckte weder rechts nach den grasenden Kühen noch links auf die Gruppe Rentner beim Picknick mit Sekt, er hielt den Blick fest auf die Straße gerichtet.
Dann der verzerrte Ton, urplötzlich
Pragmatisch, das Wort trifft es, ein pragmatischer Mensch, der kein lamentierendes Theater veranstaltete, wenn Schwierigkeiten auftauchten. Das war schon immer so, auch früher, in Ungarn, wo er zur Welt kam und aufwuchs, von wo aus er sich auf den Weg nach Deutschland gemacht hatte, wegen der Arbeit, erst in ein Städtchen im Westerwald, dann nach Berlin. Theorien, schön und gut, Lehrbücher, wenn es sein muss, während des Studiums. Aber man kann die Sachen auch einfach ausprobieren, sich selbst beibringen. Zum Beispiel noch bessere Ergebnisse mit dem 3D-Drucker hinkriegen. Er schaute sich ein Video an, probierte, es klappte nicht ganz, er schaute ein weiteres Video, jetzt klappte es schon besser, bis es lief, bis der Drucker druckte, wie er sollte.
Ihn faszinierten Fortschritt und Technik, IT, KI. Und außerdem die weiten Wälder Norwegens. Sie haben das oft gemacht: Kathrin und er, los, auf den Motorrädern, mit den Fahrrädern, dem Auto, an einer schattigen Stelle im weichen Gras das Zelt aufbauen oder die Hängematte zwischen zwei Stämmen aufspannen. Oder auf den Hochstand nach dem Bäumchen gucken, ihrem ehemaligen Weihnachtsbaum, den sie vor ein paar Jahren, nach dem Fest, hier in diesem Wald eingesetzt haben. Ist er gewachsen? Geht es ihm gut? Nein, gewachsen ist er noch nicht. Aber es geht ihm gut.
Ákos der Ausgeglichene, der allerdings kein offenes Buch war, wie Kathrin sagt, der überraschenderweise Heavy Metal liebte. In Ungarn hatte er mit Freunden eine Band, „Shapes of distortion“.
Dann der verzerrte Ton, der urplötzlich gellte, dissonant, der verdammte Krebs. Den Punkt aber, dass er es nicht schaffen könnte, gab es nie für ihn. Er nahm auch die Krankheit pragmatisch. Es besteht ein Problem, und an die Lösung des Problems arbeitet man sich heran.
Sie wollten diesen Sommer nach Norwegen. Und später vielleicht ganz weg aus Berlin, in die Berge, nach Dubai oder die USA, wer weiß.
Nach Ungarn wäre er gern noch einmal gefahren, an den Balaton und in den Süden des Landes. Dahin, wo er herkam. Zu seiner Familie, zu den Tanten und Onkeln, den Cousins und Cousinen, auch zu den Hühnern auf dem Hof. Alle wohnen dort in einer Straße, immer guckt irgendjemand vorbei. Komm rein, setz dich, iss mit uns. Ja, da wäre er gern nochmal gewesen.
Es besteht ein Problem, und an die Lösung des Problems arbeitet man sich heran
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