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Alfred Mährländer

© Salzgeber & Co. Medien GmbH, aus dem Dokumentarfilm „SPK Komplex“

Nachruf auf Alfred Mährländer: Das eine kam zum anderen, und Shorty war dabei

Während für viele die Revolution eine ernste, intellektuelle Angelegenheit war, nahm er die Sache eher von der lustigen Seite

Alfred erinnerte sich an alles. Welches Buch man las, aus welchem Urlaub man kam, wie man das Konzert vor fünf Jahren fand, um was es in der Diplomarbeit von vor 20 Jahren ging, welche Autobahn wohin führte und welcher Knast wo in Deutschland steht. Für die Ermittler wäre Alfreds lexikalisches Gedächtnis sicher eine große Hilfe gewesen.

Doch dieser riesige Mann mit den langen Haaren und dem Vollbart wollte einfach nicht reden. Stattdessen suchte er sich einen Punkt an der Wand, konzentrierte sich darauf und schwieg. Ab und an klatschte er mit den Händen auf die Schenkel und rief: „Das ist ja toll!“ Am Ende reichten die Beweise nur für eine Anklage wegen Passfälschung. 22 Monate saß er im Knast. Wer es nun war, der da in der Nacht zum 24. Juni 1971 in Wiesenbach beim Schusswechsel mit der Polizei den Abzug gedrückt hatte, kam nie heraus. Alfred sagte seinen Freunden, dass er es nicht gewesen sei.

Die Spießbürger provozieren, das war so einfach

Es war die Zeit der großen Auflehnung, und Alfred, den alle nur Shorty nannten, war mittendrin. Eben noch hatte er auf seine kleine Schwester aufgepasst, hatte in seiner Kammer Comics gelesen und Musik gehört, hatte als Kaufmannslehrling eines Lehrmittelvertriebes ausgestopfte Tiere von Schule zu Schule getragen. Jetzt setzte er sich auf die Stufen der Gedächtniskirche und drehte Joints. Rockmusik hören, nicht mehr malochen: Shorty war einer der ersten Berliner Gammler. Die Spießbürger provozieren, das war so einfach, man musste nur die Haare lang wachsen lassen. 52 Zentimeter wurden bei Alfred bei einem Haarlänge-Wettbewerb in der Hasenheide gemessen, dritter Platz.

Als Gammler wurde man von der Polizei gegängelt, von Herthafans verprügelt, in Gaststätten nicht bedient, die Bild-Zeitung skandalisierte, Passanten riefen, dass sie vergast gehörten. Die Gammler wiederum fragten sich, wie sie kostengünstig an Haschisch kamen und welchen Supermarkt sie in der Nacht ausräumen sollten. Als die „Rolling Stones“ 1965 in der Waldbühne spielten, die Tickets 10 Mark kosteten, durchbrachen sie kurzerhand die Absperrungen und standen ganz schnell vorne an der Bühne. Die Stones spielten nur 20 Minuten, die Polizei nahm ein paar von ihnen fest, und schon kam es zur Randale.

Alfred und seine Gammler, Mitglieder der Kommune 1 und anderer Wohngemeinschaften gründeten das „Zentralkomitee der umherschweifenden Haschrebellen“. Sie trafen sich zu öffentlichkeitswirksamen „Smoke Ins“ im Tiergarten, schrieben Artikel für die anarchistische Zeitschrift „883“, setzten Polizeiautos in Brand, aus Rache weil ihnen das Dope abgenommen oder weil Benno Ohnesorg erschossen worden war.

Der einzige, der nach dem Spüllappen griff

Während für viele die Revolution eine ernste, intellektuelle Angelegenheit war, nahm Shorty die Sache eher von der lustigen Seite. Er interessierte sich nicht die Bohne für Hegel und auch nicht für die Grabenkämpfe einzelner politischen Splittergruppen. Dafür probierte er Drogen, spritze sich auch Heroin. In der einen WG, in der Shorty und seine Crew immer aufschlugen, erst kifften, dann den Kühlschrank leerfutterten, beschwerten sich die Mädels, dass die Männer nie die Teller abwuschen. Da war das Geschrei groß. Der einzige, der nach dem Spüllappen griff, war Shorty. Immerhin.

Aber natürlich ging es ihm auch ums Politische, um Gerechtigkeit im Allgemeinen. Er war gegen die strikte Drogenpolitik, sagen seine Freunde. Und er kannte halt alle, Rudi Dutschke, Fritz Teufel, Uschi Obermayer, Bommi Baumann. Das eine kam zum anderen, und Shorty war dabei.

Doch als es darum ging, Banken zu überfallen, Brandbomben zu legen, blieb er außen vor. „Man hat es schwer mit eins-siebenundneunzig. Da kann man in keine Bank gehen. Mit eins-siebenundneunzig haben sie dich immer auf dem Schirm“, sagte er in einem Dokumentarfilm. Doch Shorty war nicht nur groß, sondern auch langsam und eher gutmütig. Wie ein Bär. Für Aktionen wenig geeignet, für Logistik-Fahrten mit dem Auto reichte es. Nach einer solchen wurde er festgenommen. Ein Foto zeigt ihn, lange Haare, Vollbart, die Arme auf den Rücken, die Polizisten weit überragend.

Nach dem Gefängnis renovierte Shorty Wohnungen und kümmerte sich um die Kinder von Freunden. Er hatte da diese spezielle Ruhe, die Kinder mochten. Irgendwann heuerte er als Türsteher im „Loft“ am Nollendorfplatz an, dann wurde er Nachtwächter im „Wintergarten“. Abends schlug er auf, schaute sich noch die Bands an, machte mit den Musikern backstage seine Witze, nach und nach gingen alle nach Hause, bis nur noch er da war und seine Runden drehte. In der Stille der Nacht konnte er lesen, bis der neue Tag anbrach. Auch wenn er nicht arbeitete, blieb er bis zum Morgengrauen wach, rauchte seine Roth-Händle und schaute fernsehen, denn: „Nachts kommen die guten alten Filme“.

Rief Shorty an, glühte einem nach dem Gespräch das Ohr. Traf man sich in der Kneipe, wurde es spät, denn Shorty hatte immer noch eine Story auf Lager. Mit seinem Redebedarf konnte er gehörig nerven. Gleichzeitig war da was an ihm, eine Liebenswürdigkeit, die Art, wie er die Nähe suchte, sich um Katzen und Hunde kümmerte, wie er am diese Hemden trug mit den schrillen, farbkräftigen Motiven, wie er sich freute, wenn er einen guten Mantel und gute Schuhe geschenkt bekam, wie er zuverlässig zum Geburtstag anrief.

Als er krank wurde, waren seine Freunde da. Polyneuropathie, eine unheilbare, schmerzhafte Nervenkrankheit. Das Leben aufgeben, wollte Shorty aber nicht. Erst mit Krücken, dann mit dem Rollator, den er hasste, kämpfte er sich in die Kneipe oder zur Fete. „Man hängt halt doch an seiner elenden Existenz.“ Zu seiner Beerdigung wurde eine Kiste herumgereicht, darin lagen kleine selbstgedrehte Joints.

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