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Nachruf auf Andrej Bitter: Der Kunstmarkt braucht niemanden, der alles kann
Eine Koksfabrik in Sibirien versah er mit dem Graffito „Hymne der Arbeit“. In Berlin bemalte er dann tausend Buddy-Bären.
Stand:
Im Rathaus Neukölln steht noch immer einer jener bunt bemalten Kunststoffbären, mit denen Berlin Anfang der 2000er vollgestellt wurde. Auf dem Bauch ein Sommer-Dorf-Idyll mit flügellosem Engel, auf dem Rücken ein Winter-Dorf-Idyll mit Schneeflocken; eine liebliche Chagall-Reminiszenz. „Rixi“, der Name des Bären, verweist darauf, dass mit der russisch anmutenden Dorflandschaft Rixdorf gemeint ist, Rixdorf in Neukölln, daher der Standort.
Andrej Bitter hat den Bären bemalt. Er beherrschte alle erdenklichen Maltechniken, hatte mit jeglichen Materialien gearbeitet, thematisch aber mündete seine Kunst immer wieder in Motiven seiner alten Heimat, Russland, Sibirien.
Seine Eltern, Wolgadeutsche, wurden 1941 Tausende Kilometer ostwärts deportiert. In Sibirien lernten sie sich kennen, sie schufteten im Goldbergbau. Als Andrej fünf war, zog die Familie westwärts, allerdings nur eintausend Kilometer in die Altai-Region; das ist da, wo Russland an Kasachstan und die Mongolei grenzt. Andrejs liebste Bücher handelten von Rittern, er malte die Bilder ab und wollte Künstler werden.
Es war Sozialismus, da bestand die Möglichkeit, dass einer aus einer so einfachen Familie Kunst studierte in Novoaltaisk und dann Design im großen, weit entfernten Leningrad. Dort lernte er Marina kennen, eine Professorentochter. Sie war 19, er 24, ein Jahr darauf kam der Sohn auf die Welt, den sie Andrej nannten, was logisch war, da der Vater bereits den Namen von seinem Vater übernommen hatte. Bei der Tochter, drei Jahre später, zeigten sie sich variabler und nannten sie Maria statt Marina.
Tu’s mit ganzem Herzen!
Vater Andrej beendete sein Studium mit dem Entwurf für einen Wohnwagen, welcher keinerlei Chance auf Verwirklichung hatte – es war halt Sozialismus. Das hielt den Design-Studenten nicht davon ab, mit großer Begeisterung ans Werk zu gehen; eine Einstellung, die er beibehielt: Wenn du etwas anfängst (und er hat viel angefangen), tu’s mit ganzem Herzen.
Nach dem Studium zogen die Bitters aus Leningrad in Andrejs ferne Heimat. Aus der Siedlung Station Sarinskaya war die Stadt Sarinsk geworden, die weiterwuchs, und die gestaltet werden wollte. Der Künstlerverband ernannte den frisch Diplomierten zum „Hauptkünstler“ der Stadt, denn der hatte sich zwischen zwei Semestern mal bewährt. Da hatte er ein Denkmal namens „Anbruch des Kommunismus“ entworfen, das – es war halt Sozialismus – tatsächlich gebaut worden war.
In einem Kino erstellte er gemeinsam mit Marina ein riesiges Wandgemälde namens „Jugend“ mit lauter schönen Menschen, er bemalte Giebelwände von Plattenbauten mit optimistischen Aufbaubildern, die Fassade der großen Koksfabrik versah er mit dem konstruktivistischen Graffito „Hymne der Arbeit“, für die Winterolympiade entwarf er ein Hasenmaskottchen, für die Stadt einen Hahn, weil der ein Vorbote der Morgendämmerung und somit der Sonne sei, die wiederum fürs Feuer steht und also für die Koksfabrik.
Statt Kränen, Lenin und Aktivisten nun Blumen, Fische, Landschaften
Andrej konnte Bilder jeglicher Größe auf jeglichem Untergrund auftragen, formte Plastiken aus Schamott und eignete sich auch noch die Technik des Florentiner Mosaik an: Unterschiedlich geformte bunte Steinplatten ergeben das glatt polierte Bild. Er war so gut darin, dass er noch einmal den Titel „Hauptkünstler“ erhielt, diesmal für das Steinschneidewerk in Kolyvan. Es war das Jahr 1989, noch war Sozialismus, doch der befand sich in seiner Endphase namens „Perestroika“. Entsprechend änderten sich die Motive: statt Kränen, Lenin und Aktivisten nun Blumen, Fische, Landschaften.
Wieder ging unser Künstler mit Begeisterung ans Werk, er setzte Steinbild um Steinbild zusammen, eins prächtiger als das andere, er baute für die Familie ein Holzhaus, die Sommer waren schön, die Winter kalt – doch leider befand sich die Wirtschaft des Landes im großen Umbruch. Es wurde schwieriger, Abnehmer für die riesigen Steinbilder zu finden.
Außerdem funktionierten Andrejs Nieren nicht, wie sie sollten. Es war absehbar, dass er irgendwann an die Dialyse musste, schwierig bis unmöglich damals in Russland für einen, der keine Reichtümer scheffelte.
Etliche Verwandte der Bitters, allesamt Nachfahren von Russlanddeutschen, waren bereits der Einladung der Bundesrepublik gefolgt und nach Deutschland übergesiedelt. Die wenigsten von ihnen sprachen Deutsch. Auch Andrej nicht, obwohl in seiner Kindheit zu Hause noch Deutsch in dieser altertümlichen Form gesprochen worden war.
Als Andrej mit Marina, Andrej und Maria 1996 eintrafen, kamen sie für die ersten Monate in einer Unterkunft in Erkner mit lauter Bosniern unter, die vorm Bürgerkrieg geflohen waren. Er hatte einen Querschnitt seiner Arbeiten zusammengestellt, konnte belegen, dass er eigentlich alles konnte, zog durch die Galerien der Stadt, stellte sich und sein umfassendes Werk vor und lernte, dass der deutsche Kunstmarkt gar keine Künstler suchte, die alles können.
Irgendwann ergab sich die Gelegenheit, an einer Volkshochschule ein paar Kurse zu geben. Sprachlich mochte das nicht ganz einfach sein, fachlich war er über jeden Zweifel erhaben. Marina hatte einen Job an der Amerika-Gedenkbibliothek gefunden und war jetzt diejenige, die fürs regelmäßige Geld sorgte.
Bis Andrej von den „Buddy-Bären“ erfuhr. Es wurden Künstler gesucht, die die weißen Zwei-Meter-Plastikgeschöpfe bemalten. Er reichte 25 Entwürfe ein, einer davon traf genau den Geschmack eines Sponsors. Das war eine Versicherung, die ihre Farben darin wiederfand. Die Dinge nahmen ihren Lauf. Andrej und Marina, zeitweise auch der Sohn Andrej, bemalten Bär um Bär für Firmen und Behörden. Der Künstler aus Sibirien betreute Künstler aus aller Welt, die ebendies taten. Er war der richtige Mann am richtigen Ort: kenntnis- und ideenreich sowie durch seine Vergangenheit im Sozialismus überaus flexibel im Umgang mit Überraschungen technischer oder geschmacklicher Natur. An die tausend Bären wird er wohl bemalt haben, genug, wie er irgendwann befand.
Er hatte ja noch so viele andere Ideen, eine Art Disneyland in seiner alten Heimat, ein Bausatz zur Goldschmuckherstellung, begeisternd und ergebnislos wie der Wohnwagen vor 40 Jahren. Als dann die Kräfte nachließen, zeichnete er noch auf dem iPad, viele Hundert Bilder mit Motiven aus seiner alten Heimat.
Wenn du etwas anfängst, tu’s mit ganzem Herzen!
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