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Barbara Lebek

© privat

Nachruf auf Barbara Lebek: „Es war keine Arbeit, es war unser Leben“

Sie leitete einen Kindergarten und wollte etwas anders machen. Einen Blumenladen? Warum denn nicht.

Stand:

Er war überhaupt nicht ihr Typ, dieser Reinhardt. Aber Reinhardt war verliebt, so verliebt wie es einer nur sein kann. „Und eigentlich hat das nie aufgehört“, sagt er.

Sie war 17, er 23, als er sie das erste Mal zum Tanz bat. Im „Riverboat“ am Fehrbelliner Platz war das, eine beliebte Studenten-Disco mit fünf Decks und Dachterrasse. Sie tanzten, einmal, und Reinhard wollte mehr. Abend für Abend bat er sie um einen zweiten Tanz. Doch sie lehnte ab. Niemals würde da was laufen, steckten ihm ihre Freundinnen. Er gab nicht auf. Wenn sie nicht mit ihm reden wolle, dann würde er ihr eben schreiben. Jeden Abend einen Brief, in dem er ihr die Welt versprach.

Reinhardt: Er war allein bei seiner Mutter aufgewachsen in einem Dorf kurz hinter Spandau. Er war für alles zuständig: Kohlen holen, Holz hacken, heizen, einkaufen. Kein Kind, sondern ein Ersatzmann. Bis er genug hatte, von seiner Mutter wie von der ganzen DDR. 1962 kletterte er mit zwei Freunden über den Stacheldraht.

Barbara: Sie wurde von ihren Eltern geliebt. War sie doch das Kind, das zur Welt kam, nachdem ihr Bruder vor den Augen der Eltern durch eine Handgranate getötet worden war. Die Familie floh aus Sachsen nach West-Berlin. Die Mutter arbeitete als Änderungsschneiderin, der Vater, ein ehemaliger Bürgermeister, begann bei Schultheiß in Moabit noch einmal von vorn – erst als einfacher Brauer, dann als Meister. Barbara verehrte ihren Vater, ehrgeizig, beharrlich und gut mit Menschen.

„Ich kann das nicht mehr sehen, gib sie mir!“

Am Ende war es Reinhardts an den Ärmeln ausgefranste Jacke: „Ich kann das nicht mehr sehen, gib sie mir“, sagte Barbara. Er gab ihr die Jacke, sie gab sie ihrer Mutter, die flickte sie, Barbara gab sie ihm zurück, der Anfang war gemacht. Ein halbes Jahr dauerte es noch, bis Reinhardt sie nach Hause fahren durfte, bis sie ihn ihrer Mutter vorstellte, bis sie sich das erste Mal küssten.

Kochen, bügeln, Haushalt führen, das lernte Barbara auf der Hauswirtschaftsschule. Bei ihr musste alles immer perfekt sein. Sie können doch so gut mit Menschen, sagte der Berufsberater, Kinderkrankenschwester solle sie werden. Im Kinderkrankenhaus am Theodor-Heuss-Platz machte sie ihre Ausbildung. Es gab keine Fahrstühle, Barbara trug die Kinder von Untersuchung zu Untersuchung, von Stock zu Stock. Hatten sie Angst, sprach Barbara ihnen Mut zu. Hatten sie Schmerzen, tröstet Barbara sie. Und wenn ein Kind es nicht schaffte, war sie tief traurig, redete lange mit den Eltern. Besonders dieses eine Kind konnte sie nie vergessen. Ein gemeinsames Foto, in Glas gerahmt, hat sie aufgehoben: Das Kind lächelt sie schüchtern an, sie lacht zurück.

Reinhardt zog in eine Einzimmer-Wohnung in die Turmstraße, gleich um die Ecke von Barbara, die noch bei ihrer Mutter blieb. Reinhardt und Barbara fuhren mit dem Bollerwagen durch die Straße auf der Suche nach gebrauchten Möbeln, Gardinen, Lampen, mit der sie seine Bleibe einrichteten. Dann waren es noch sechs Jahre, in denen Barbara Abend für Abend nach Hause ging, spätestens um elf solle sie da sein, so die Mutter. „Wir hatten Sehnsucht nach einander, wir waren immer noch verliebt, es war Zeit für eine erste gemeinsame Wohnung.“

Vom Krankenhaus wechselte Barbara in einen großen Kindergarten. Erst als Krankenschwester, dann machte man sie zur Leiterin. Hier hätte sie sicher bis zur Rente bleiben können, doch Barbara wollte Veränderung.

„Ich möchte einen Blumenladen aufmachen!“ Warum denn nicht? In der Drakestraße, Lichterfelde richteten sie ein Geschäft im Gründerzeit-Stil her und nannten es „Blumencorso“. In den Vorgarten stellte Reinhardt eine ausrangierte Telefonzelle, das war ein Blickfang. Barbara stand im Laden, bediente und band die Gestecke.

Er schrieb ihr Postkarten, er nannte sie „meine Muse“

Die Kunden wurden mehr, der Laden zu klein, die Arbeit für einen alleine zu viel. „Lass uns das zusammen machen“, sagte Barbara. Umzug, größeres Geschäft, Musik im Hintergrund, kostenloser Kaffeespender, Sitzgelegenheit, Schaufensterpuppen, die mit Blumen und Pflanzen bedeckte waren. „Es war keine Arbeit, es war unser Leben. Chef war immer der, der da war“, sagt Reinhardt.

Barbara war der Mittelpunkt des Ladens: Hier konnte sie strahlen, nicht blendend und überschwänglich, sondern zurückhaltend und fein. Reinhard übernahm die weniger angenehmen Dinge: Kunden, die sich beschwerten, Lieferanten, die unhöflich waren. Wenn er Barbara beobachtete, stilvoll gekleidet in Schwarz und Weiß, mit roten Accessoires, immer mit Hut, mit den Blumen und Kunden voll in ihrem Element, war er glücklich. Er nahm sie in den Arm, er schrieb ihr Postkarten, er nannte sie „meine Muse“.

Anfang der 1980er kaufte Reinhard einen heruntergekommenen Bungalow mit verlottertem Garten. Barbara war entsetzt, „so verwohnt!“ Doch Reinhardt sah eine Chance. Sie beide mochten doch Japan, sie liebten Gartenkunst, sie liebten es zu gestalten und Neues zu wagen. Zehn Jahre brauchten sie, um Raum für Raum im japanischen Stil herzurichten: Klare Strukturen, viel Holz, wenig handgemachte Möbel. Dann machten sie im Garten weiter: pflanzten Hainbuchhecken, Korkenzieherhasel, Magnolie, eine Hängebuche, lichteten aus, formten Leerräume, legten Wege an, Rundungen, rechte Winkel. Fertig war der Garten nie, sollte er auch gar nicht sein, solange sie gemeinsam darin arbeiten konnten, jeder mit seinen eigenen Ideen.

Bis sich ihr Körper veränderte, bis ihr die Ärzte sagten, dass sie eine unheilbare Lungenkrankheit habe, COPD. Dieses Wissen, dass es kein Aufhalten gab, hat ihr zugesetzt, so sehr, dass sie sich in psychologische Behandlung begab. Mit Reinhardt wollte sie nicht über ihr Befinden sprechen. Eine Krankheit folgte der nächsten, Osteoporose, Lungenentzündung, Corona.

Sie wog immer weniger, wurde schwächer, saß jetzt gerne in ihrem Lieblingssessel, draußen und schaute Reinhardt beim Gärtnern zu. Sie starb zu Hause, so wie sie es wollte, in Reinhardts Armen.

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