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Barbara Markland

© privat

Nachruf auf Barbara Markland: „Ich bin hier jetzt die Queen!“

Aus Worten Verse, aus Brotkrumen und Butterresten kleine Geburtstagstörtchen

Stand:

„Mutti wollte sich das Leben nehmen und hatte sich entschlossen, mich mitzunehmen. Ich war schweren Herzens einverstanden. Wir wollten in die Havel gehen. Mutti hielten aber zu Hause die Enkelkinder zurück, die ihrer Arbeitskraft und Liebe bedurften. Ich war heilfroh, dass mein so kurzes Leben noch nicht zu Ende gehen sollte. Es ging also weiter.“ Das notierte Barbara in ihren Erinnerungen „anlässlich des 90sten Aufkommens der Wiederkehr meiner Geburt“.

Fünf Geschwister waren sie, alle mussten mithelfen in dem kleinen Kolonialwarenladen, den die Eltern in Hohen Neuendorf nahe Berlin betrieben. Im Laden gab es alles, was auf dem Dorf gebraucht wurde, und Harzer Roller gab es extra als Erinnerung an die alte Heimat. Strom gab es keinen, wenn Musik ertönte, dann selbstgemacht, Klavier, Harmonium, Geige, Gitarre und die Singstimme des Vaters. Autos waren selten zu sehen, dafür jede Menge Hühner und ein stolzer Hahn. Es gab eine Turnstange im Garten und eine Schaukel, und geschwommen wurde im Sommer in der Havel, hinter den Wiesen.

„Das Gute muss siegen“

Als Hitler an die Macht kam, wurde alles viel aufregender für die Kinder. Olympische Spiele in Berlin, das war ein Fest. Im Bund deutscher Mädel war Barbara, von allen Bärbel gerufen, voller Begeisterung dabei. „Das Gute muss siegen“, betete die Mutter, als der Krieg begann, und als er endete, gerieten der Vater und beide Brüder in Gefangenschaft. Da verlor die Mutter ihren Lebensmut. Bärbel tröstete, schuftete, ging hamstern bei den Bauern der Umgebung, sammelte Brennnesseln, kochte Spinat davon. Der erste Frühling im Frieden war es, da kam die Volkspolizei, holte sie weg, fast vier Jahre Straflager, zuletzt in Buchenwald. Ohne Verurteilung. Sie war denunziert worden, weil sie beim Bund deutscher Mädel Schaftführerin gewesen war.

Die Zeit im Lager überstand sie dank der Freundinnen, die sie dort fand. Sie wärmten sich die Herzen mit Selbstgestricktem und mit Gedichten: „Es lohnt sich manchmal, zu lieben, / Was kommt, nicht ist oder war. / Ein Frühlingsgedicht, geschrieben / Im kältesten Februar.“ Ringelnatz stand ihr lebenslang zur Seite, er lehrte sie die Poesie. Diese Fähigkeit, aus wenig so viel mehr zu machen. Aus Worten Verse, aus Brotkrumen und Butterresten kleine Geburtstagstörtchen.

Im Januar 1950 kam sie frei, der Vater und die Brüder waren auch wieder im Haus, aber die Mutter, die hielt es nicht mehr aus mit sich und dem Tinnitus, der sie plagte. Sie ertränkte sich zwei Jahre später in der Havel. Bärbel zog nach Berlin West als Hausangestellte in Kost und Logis, erst bei Generaldirektor Willi Wenzel und Gattin, dann bei der Frau Ministerialrätin a.D. Dorothea Hirschfeld. Durch sie erfuhr sie von all den Verbrechen, die sie bis dahin nicht hatte glauben wollen, weil es nicht logisch war ihrem Verstande nach. „Wenn uns Hitler belog, dem wir so vertrauten, dass er etwas Gutes wollte, wie könnten dann die anderen, die Engländer und Amis die Wahrheit sagen?“

Frau Hirschfeld war Sozialdemokratin und Jüdin, sie hatte Theresienstadt überlebt, sie wusste, was geschehen war und Bärbel glaubte ihr. In der Zeit lernte sie Harold kennen, der eigentlich Heinz hieß, aber seinem Vater zum Trotz einen anderen Namen angenommen hatte. Er war „Halbjude“, zwölf seiner nächsten Anverwandten waren umgebracht worden, er selbst hatte das Glück, in englische Kriegsgefangenschaft geraten zu sein, und Engländer wollte er auch bleiben.

„Gibt es für mich niemand, der mich lieb hat?“, schien sein Blick zu fragen. Bärbel gab ihm ihr Wort, obwohl er sich oft in dunklen Stunden verlor. Sie blieben in Berlin, bekamen ein Kind, ein Mädchen. Brigitte sollte nicht spülen, sondern spielen, so befahl es die Mutter ihrer Tochter und das tat Brigitte dann lebenslang und wurde berühmt damit, unter dem Namen Bridge Markland.

Harold arbeitete als Mechaniker und Taxifahrer, Bärbel verdiente ihr Geld mit der Strickmaschine und als Stationshilfe im Krankenhaus. Es gab so viel zu tun, dass die Zeit fast unbemerkt verging, hätte sie nicht bei Geburtstagen und Festen die Ereignisse in Versen festgehalten. „Das Familienleben rauschte dahin. / Jetzt ist nur noch das Alter im Sinn. / Ich bin nicht allein, so soll es sein.“

Halbjährlicher Weltenwechsel

In ihrem Nachlass finden sich unzählige Listen über ihre Handarbeiten und über die Grußkarten, die sie schrieb. Gedichte zu jedem Geburtstag, zu jedem Fest. An Weihnachten, an Ostern schrieb sie an alle ihre Lieben, und davon gab es viele, wie die Listen bezeugen, in denen auch akribisch vermerkt wurde, ob die Empfänger sich bedankt hatten. Bärbel liebte Menschen, deswegen schenkte sie ihnen so gern ihre Aufmerksamkeit, ganz gleich an welchem Ort.

Harold wollte immer nach Kanada auswandern, daraus wurde nichts, aber ein Häuschen hatten sie dort, und so wechselten sie im Alter halbjährlich die Welten. Bärbel fiel das leicht, aber Harold konnte ihr Tempo nicht mitgehen, er starb 1998.

Einsamkeit war kein denkbarer Zustand, und als Witwe mochte sie sich schon gar nicht fühlen, also logierte sich Bärbel bei Ingrid, der Tochter ihrer Schwester und deren Mann ein. Sie und Ingrid gingen fortan gemeinsam ins Theater, zu Konzerten oder zum Kegeln, wenn das Vergnügen handfester sein sollte. Für gelegentliche Zärtlichkeiten hielt sie sich einen jugendlichen Liebhaber, der ansonsten aber keinen Raum beanspruchen durfte. So lebten sie viele Jahre glücklich zusammen, auch nach dem Tod von Ingrids Mann. Als Ingrid selbst dann hinfälliger wurde und ins Pflegeheim musste, blieb Bärbel allen Angeboten zum Trotz allein im Haus wohnen: „Ich bin hier jetzt die Queen!“

Sie trat in den Schwimmkreis ein, betrieb ein wenig Gymnastik, um sich mobil zu halten, und nahm Justus im Haus auf, einen jungen Studenten, der ihr, wenn nötig, zur Hand ging. Heim? „Nein, erst mal nicht“, lehnte sie dankend ab.

„Ich bin beim Sterben vergessen worden!“ Das war halb Witz, halb Klage, denn auch ihre Kräfte schwanden. Die Verse wurden knapper, aber sie reimten sich nach wie vor, denn ihre Liebe für die Menschen blieb jung: „Von Herzen / Kein Scherzen“.

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